Depression! Wie helfen? - das Buch für Angehörige
sie. Wir versuchen, die Umstände zu akzeptieren, um unsere Ruhe zu haben – und dann ergreift uns von Neuem die Unrast.
Seine Schlaflosigkeit und nächtliche Unruhe greift auch auf uns über. Getrennte Schlafzimmer für (Ehe-)Partner können Erleichterungen bringen, wenn wir auch trotzdem ständig auf der Hut sind und uns fragen, was wir ihm zuliebe tun könnten, um seine Qual zu lindern. Wir brauchen aber Schlaf, um der erhöhten Belastung standzuhalten. Dabei müssen wir versuchen, den Gedanken zu verdrängen, es könnte etwas passieren, während wir schlafen.
Wenn er nicht stumm dasitzt oder sich verkrochen hat, werden seine Reden ständig um seinen Zustand kreisen. Wenn wir ihm zeigen, dass wir Anteil nehmen, müssen wir uns auch mit seinen Problemen beschäftigen – bis sie auch von uns Besitz ergreifen. Dann herrscht Alarmstufe eins.
Der Kranke fordert uns laufend. Und wir müssen sehen, dass wir nicht überfordert werden. Wir dürfen an unseren Fähigkeiten und am guten Ausgang der Geschichte nicht in Zweifel geraten. Um eine Ansteckung zu vermeiden, können wir versuchen, uns an das Gejammer zu gewöhnen. Vielleicht werden wir zu unserem Schrecken allmählich müde, immer die gleiche Leier zu hören. Wir stumpfen ab. Dies ist eine wohltätige Reaktion unserer Seele, legitim und für unser Überleben wichtig.
Wir sind nicht Atlas
Atlas trug die ganze Welt auf seinen Schultern. Sind wir Atlas? Müssen wir, können wir Atlas sein? Nein! Ein wichtiger Teil dieses Buches ist der Frage gewidmet, was wir alles tun können und sollen, um unsere geistige und körperliche Fitness angesichts unserer schweren Aufgabe zu erhalten. Der Sinn dieses Kapitels ist es, diesmal uns Angehörige gleichsam von außen zu betrachten und uns mit dem Gedanken Mut zu machen, dass unsere Verantwortung dem Kranken gegenüber begrenzt ist.
Wir müssen uns auch der Rolle bewusst sein, die wir und unsere geistig-seelische wie auch körperliche Gesundheit in dem ganzen Drama spielen. Es gilt, von Anfang an ein wachsames Auge auf unsere eigenen Grenzen zu haben. Anfangs sind wir bereit, alles zu geben und können das auch. Aber je länger die Krankheit dauert, desto sorgsamer müssen wir mit unseren Kräften haushalten. Wir können uns zwar von gewissen anderen Aufgaben entlasten, unser Eigenleben dürfen wir aber nicht aufgeben.
Vielleicht haben wir auch ein schlechtes Gewissen, wenn wir uns für den Kranken nicht völlig aufopfern. Oder wir verzweifeln nicht nur daran, dass keine Fortschritte sichtbar werden, nein, wir zweifeln an unseren Fähigkeiten, irgendein Ergebnis zu erzielen. Dies entspringt unserer Ungeduld, den Patienten nicht länger leiden zu sehen, ist aber natürlich falsch. Wir sind ja weder der Herrgott noch ein Arzt und haben keine Macht über diese spezielle Krankheit, die sich weder mit einem heißen Tee noch mit einem frischen Verband lindern lässt.
Depressionskranke ziehen einen beträchtlichen Teil unserer Energien auf sich, besonders, wenn ihre Gemütslage starken Schwankungen unterworfen ist und wir nicht voraussehen können, wie unsere Bemerkungen oder Vorschläge ankommen. Es entsteht ein Dauerzustand von Anspannung zwischen uns und dem Kranken, den wir auch als Stress wahrnehmen können – mit all seinen bekannten Folgen für unser eigenes Befinden.
Unsere Erschöpfung kann in Mutlosigkeit umschlagen und wir möchten am liebsten aufgeben. Dies ist offensichtlich kontraproduktiv. Vielleicht werden wir dessen nicht einmal bewusst, es muss uns jemand Außenstehender darauf aufmerksam machen – und uns dazu bringen, uns zu entlasten.
Wir sind keine Wunderheiler
Besonders bei einer erstmaligen Erkrankung sind wir bereit, die Verantwortung für die Genesung des Abgetauchten zu übernehmen, wie wir auch alle anderen Aufgaben selbstverständlich auf unseren Rücken laden. Wir sind anfänglich frisch und mutig, verordnen dem Patienten alle möglichen Mittelchen und Therapien und geben uns keine Rechenschaft darüber, dass Siegmund Freud und seine Nachfolger auch keine Allheilmittel gegen Depressionen gefunden haben.
Matthias Claudius dichtete einmal: »Wird ein Kranker eh gesund, ist es Gottes Gabe, doch die Rechnung schreibt der Arzt, dass er auch was habe«. Im Ernst: Die ärztliche Kunst in Form von Therapie und Medikation ist ein wichtiger Helfer und in den meisten Fällen nach einer Anlaufszeit sehr effektiv, zumindest, was das Resultat anbelangt. Und auch der Betroffene steht in der Pflicht. Seine
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