Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
Vom Netzwerk:
hauchte sie und schlang langsam die Arme um Danners Hals.
    Ihre Rolle gefiel ihr offensichtlich ausgesprochen gut: Hilfloses Frauchen wird vom bösen Ehemann hintergangen und vom schnodderigen Schnüffler gerettet – und selbstverständlich auch gevögelt.
    »Lass sie nicht so nah ran!«, murmelte ich, als sie mit ihren hennafarbenen Fingernägeln über seine Glatze fuhr.
    Danner nahm bestimmt ihre Arme von seinem Hals und schob sie ein Stück von sich.
    Ging doch!
    »Das ist mein Ernst, Marie! Ich habe dich drei Tage nicht zurückgerufen, ich will nicht ins Theater, nicht zum Essen und schon gar nicht mit zu dir!«
    »Dann eben nicht«, schmollte sie beleidigt. »Wollen wir Sonntag ins Konzert gehen?«
    Das war genug!
    Offensichtlich kapierte die mit Absicht nicht. Kurz entschlossen zog ich T-Shirt und Hose aus und wickelte mich in ein Handtuch.
    Dann öffnete ich die Badezimmertür.
    »Ben, Liebling, wo bleibst du?«, flötete ich samtweich, auch wenn Telefonsex wirklich nicht mein Ding war. »Das Wasser wird kalt –«
    Ich tat, als würde ich M. erst in dem Moment bemerken. »Was geht denn hier vor?!«
    M. schnappte empört nach Luft: »Ben, was hat dieses – dieses kleine Flittchen hier zu suchen? Würdest du mir das bitte erklären?!«
    Ich stemmte die Hände in die Seiten und funkelte Danner wütend an: »Die Erklärung würde ich auch gern hören! Bist du noch zu retten, hier rumzuknutschen, während ich in der Badewanne verschrumpele?«
    Er verzog keine Miene, doch seine Augen glitzerten.
    »Was tun Sie hier?«, fauchte M. mich an.
    »Ich arbeite hier!«, fauchte ich zurück. »Meinen Sie, ich kriege mein Geld nur fürs Tippen?«
    »Die Sekretärin!« Sie wirbelte zu Danner herum: »Du bist kein Stück besser als mein Mann! Im Gegenteil, der hat wenigstens so viel Anstand, eine zu bumsen, die schon Auto fahren darf!«
    Sie stürmte hinaus und schlug knallend die Tür zu.
    »Die ruft nicht mehr an«, weissagte ich.
    »Ich sag Molle, bei wem er sich bedanken muss.«
    Ich drehte mich zur Badezimmertür, als er mich plötzlich erneut am Arm festhielt.
    Ich erstarrte.
    Dann spürte ich seine Hand heiß auf meinem nackten Rücken. Die Berührung zuckte wie ein Stromstoß bis in meine Arme hinab und hinterließ ein elektrisiertes Kribbeln.
    »Was ist das denn?« Sacht fuhren seine Fingern zwischen meinen Schulterblättern entlang.
    »Was?« Ich versuchte, über meine Schulter auf meinen Rücken zu sehen. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass meine ganze linke Schulter noch immer blassgelb verfärbt war.
    Danners Augen wurden schmal: »Wer war das?«
    Ich schwieg.
    »Dein Freund?«
    Ich lächelte.
    Er musterte mich kurz und ließ mich wieder los. Dann nahm er seine Jacke vom Haken und steckte eine Digitalkamera in die Tasche. »Ich krieg’s raus, verlass dich drauf.«
    Damit ging er hinaus.

12.
    Während hinter Danner die Wohnungstür zupolterte, lief ich zurück ins Bad, ließ das Handtuch sinken und betrachtete im Spiegel meinen Rücken. Man ahnte den Bluterguss nur noch, wenn man genau hinsah.
    Danner musste scharfe Augen haben.
    Die Faust zuckt auf mich zu und ich weiß genau, dass ich mich nicht rechtzeitig wegdrehen kann. Es knackt, als der Schlag meine Wirbelsäule und die linke Schulter trifft. Der Schmerz rast meinen Rücken hinab, dunkle Punkte tanzen vor meinen Augen. Als ich zu Boden falle, glaube ich einen Moment lang, mir einen Querschnitt eingehandelt zu haben.
    Ich schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu verdrängen. Erstaunlich, wie gut das funktionierte. Ich hatte die Hämatome auf meiner Schulter schon vergessen gehabt.
    Dafür spürte ich noch das Kribbeln, dass Danners Berührung auf meinem Rücken hervorgerufen hatte. Ich stützte die Hände auf den Rand des Waschbeckens und starrte mein Spiegelbild an.
    Beunruhigend.
    Ich musste mich irgendwie ablenken.
    Ich schlüpfte in meine Klamotten und schlenderte zurück ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch lagen noch immer die Fotos, die Danner von Staschek erhalten hatte. Ich ließ mich auf das Sofa fallen und sah sie mir an.
    Das erste Bild zeigte eine Schulklasse. Ungefähr dreißig Teenager hatten sich auf einer Treppe aufgestellt. Die kleineren vorn, die größeren in der zweiten Reihe eine Treppenstufe höher. Das winzige Gesicht eines dunkelhaarigen Mädchens war mit rotem Kugelschreiber eingekreist.
    Das zweite Foto war ein Porträt. Das Mädchen schien schneewittchenartig schön: blasse Haut, glänzendes, dunkles Haar, hohe Wangen und

Weitere Kostenlose Bücher