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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Borlik
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sicher aus einem bestimmten Grund hier. Wenn es die Arbeit deines Vaters angeht, so kann ich dir nicht viel darüber erzählen. Das letzte Mal, als wir uns sahen, meinte er, es wäre sicherer für mich, nichts darüber zu wissen.«
    »Er hat auch vor mir ein Geheimnis daraus gemacht. Aber ich weiß, dass er Sie gebeten hat, ein altes Schriftstück für ihn zu übersetzen.«
    »In der Tat, das hat er.« Mr Burbridge erhob sich von seinem Stuhl und näherte sich einem Regal, in dessen quadratischen Fächern vergilbte, brüchig aussehende Schriftrollen lagerten. Er zog eine davon heraus, dann griff er noch einmal in das Fach, um zwei lose, mit dunkler Tinte beschriebene Blätter hervorzuholen. Sie waren eindeutig neueren Datums.
    »Er hat das Schriftstück in einem alten Dokumentenordner über den Bau der Kathedrale entdeckt, in den schon seit Jahren – nun, wohl eher Jahrhunderten – keiner mehr einen Blick geworfen hatte.« Die Schriftrolle knisterte wie trockenes Laub, als Mr Burbridge sie behutsam auf dem Tisch ausbreitete.
    Neugierig beugte sich Amy darüber. Die Schrift war an vielen Stellen verblasst und somit nur schwer entzifferbar. Aber auch so hätte Amy den Text nicht lesen können, da er in einem uralten Dialekt verfasst war. Fragend sah sie zu Mr Burbridge auf. »Was steht da?«
    Er strich sich über das Kinn. »Wenn ich euch die Übersetzung zeige, werdet ihr doch nichts Dummes anstellen?«
    »Dummes?«, fragte Amy unschuldig.
    »Nur weil ich alt bin, bin ich noch lange kein Narr«, mahnte Mr Burbridge mit erhobenem Zeigefinger. »Ihr habt etwas vor, sonst wärt ihr nicht hier. Ihr jungen Leute steckt immer so voller Tatendrang, stürzt euch, ohne nachzudenken, in riskante Abenteuer.« Mit seinem Taschentuch tupfte er sich kleine Schweißperlen von der Stirn, als wäre alleine der Gedanke an ein Abenteuer mehr Aufregung, als er ertragen konnte. »Ich kann mir gut vorstellen, dass du deinem Vater beistehen willst, kleine Amy. Ich hoffe nur, dass du weißt, dass er es unter keinen Umständen gutheißen würde, wenn du dich seinetwegen in Gefahr begibst.«
    »Es geht nicht nur um ihn, es geht um das ganze Land.«
    »Ich weiß, ich weiß, und das macht es mir so schwer«, fiel ihr Mr Burbridge mit gequälter Stimme ins Wort. »Am liebsten würde ich euch diese Übersetzung vorenthalten. Gewiss werdet ihr durch sie nur in noch größere Schwierigkeiten geraten. Andererseits …«
    Unschlüssig brach er ab, schüttelte den Kopf und wankte wie ein halbblinder Maulwurf zwischen den Büchertürmen auf dem Boden seines Büros umher. Dabei bewegten sich seine Lippen unentwegt, als führe er eine Diskussion mit sich selber. Amy spitzte die Ohren, schnappte jedoch nur unverständliches Gemurmel auf. Kurzsichtig, wie Mr Burbridge war, dauerte es nicht lange, bis er gegen einen der Stapel stieß. Der Bücherturm geriet ins Wanken und stürzte auf einen wirren Haufen Pergamentrollen. Etwas Weißes zischte darunter hervor und flüchtete unter ein Wandregal.
    »Was war das?«, rief Amy erschrocken.
    »Eine Ratte.« Mr Burbridge war stehen geblieben und starrte angewidert auf die Stelle, wo das Tier verschwunden war. »Seit ein paar Wochen haben wir Probleme mit diesen Nagern. Zu meinem großen Verdruss sind sie hochintelligent, weswegen sie dem Kammerjäger immer wieder entwischen.« Langsam drehte er sich zu Amy und Finn um. Seine ganze Mimik drückte Unbehagen aus, als er sagte: »Ich werde euch die Übersetzung zeigen, weil ich überzeugt bin, dass ich euch sowieso nicht von dem abhalten kann, was ihr euch vorgenommen habt.« Er kam zum Tisch zurückgeschlurft. »Hier hast du sie.« Er reichte Amy eines der handbeschriebenen Blätter, die er aus dem Regalfach gefischt hatte. »Dieser Text ist fast tausend Jahre alt und stammt von einem Astrologen, der damals am Hof des Königs gelebt hat. Seinen Namen konnte ich leider nicht herausbekommen.«
    Amy zog das Blatt zu sich heran, überflog es kurz und begann anschließend laut vorzulesen:

    Der Schwarze Stern Es war zur Zeit des ersten Königs, als der feurig rote Komet am nächtlichen Firmament beobachtet wurde: ein heller Funke, der wie ein Irrlicht, das sich zu weit hinaufgewagt hat, ruhelos an den Sternen vorüberzog.
    Eine ganze Woche lang konnte man seine Reise Nacht für Nacht am Himmel beobachten, ein Anblick, den die Menschen zuletzt vor über tausend Jahren hatten bewundern dürfen. Und so lange wird es wohl auch dauern, bis er das nächste Mal zu sehen

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