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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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es getan, sie hätten sich zurückgesetzt gefühlt, wären beleidigt gewesen, manche hätten sich in dumme Heldentaten gestürzt in dieser Zeit männlichen Stolzes. Nun waren die Dinge klar. Jetzt bedauerte sie es, dass Werdin in Süddeutschland arbeitete. Sie hätten eine schöne Zeit haben können.
VIII.
    W erdin war es zuerst aufgefallen. Jeden Tag überflogen mehr englische und amerikanische Aufklärungsflugzeuge die geheimen Labors bei Haigerloch. Es kam ihm so vor, als suchten sie Württemberg systematisch ab, wie bei Kartografierungsarbeiten. Ob sie die Urananlage finden wollten? Wussten sie schon etwas über die Forschungsarbeiten? Gewiss hatte Müller den Russen verraten, was er über das Uranprojekt wusste. Aber Schellenberg wiegelte ab, Müller hatte wenig Ahnung. Immerhin aber gewannen die Feinde nun die Gewissheit, dass Deutschland an einer Superwaffe arbeitete. Sie wussten auch, dass Himmler alle Kräfte sammelte, um den Durchbruch zu erzielen. Die Bombe war zu einer nationalen Aufgabe geworden, auch wenn die Nation nichts von ihr ahnte. Sie war der Grund, die Waffen nicht gleich niederzulegen. Um sie zu bauen, starben Millionen an den Fronten, Opfer im Kampf um Zeit. Die Wehrmacht kämpfte nicht um den Sieg, sondern um Monate, Wochen, Tage. Und wenn sie die Bombe nicht bauten, war alles umsonst. Es kam Werdin vor wie ein Pokerspiel, nur dass die Einsätze unübertreffbar hoch waren.
    Verschiedene Kräfte hatten sich unausgesprochen zu einer Koalition zusammengefunden. Die einen wollten wegen des nationalen Stolzes um jeden Preis eine Niederlage verhindern. Andere hatten Angst vor den Russen, dem Bolschewismus, dem sie zutrauten, was Deutsche vorher im Osten angerichtet hatten. Es graute ihnen vor der Rache. Wieder andere wollten ihre Verbrechen verbergen und fürchteten die Aufklärung durch die alliierten Sieger. Andere kämpften um ihr Leben, sie wussten, die Niederlage hieß für sie Selbsttötung oder Galgen. Wieder andere kämpften weiter, weil sie an eine deutsche Sendung glaubten, die Deutschen für ein auserwähltes Volk hielten, das allen anderen Völkern überlegen sei. besonders den Slawen und Juden. Andere hatten Hitler unterstützt, weil sie sich einbildeten, er stelle nach dem Schanddiktat von Versailles nur die Gerechtigkeit wieder her. Sie wollten weitermachen, weil mit einer Niederlage noch mehr Ungerechtigkeit angehäuft würde, Ursachen eines dritten Weltkriegs, wie sie erklärten. Die SS kämpfte für sich selbst: Verlor Deutschland, war auch der schwarze Orden verloren. Sie sah in der Bombe die letzte Chance, und sie kämpfte für diese Chance, wie sie noch nie zuvor gekämpft hatte.
    »Warum arbeiten Sie sich halb tot für die Bombe?«, fragte Werdin den glatten und eloquenten Kurt Diebner. Er war der Motor des Uranvereins, trieb die Wissenschaftler und die Hilfskräfte an, vermittelte bei Gezänk der Primadonnen untereinander, nahm ihnen Zweifel, indem er versprach, die Bombe werde nicht eingesetzt, es sei denn in irgendeiner menschenleeren Gegend zur Demonstration. Man möge doch besser von Einschüchterung sprechen, hatte Heisenberg kritisiert, der alles daransetzte, aus dem Schatten Otto Hahns zu treten.
    »Es ist unsere letzte Chance«, erwiderte Diebner. »Vielleicht werden wir sie nicht nutzen. Vielleicht finden unsere Feinde unsere Labors und zerstören sie, weil Ihnen Ihr formidabler Müller abhanden gekommen ist. Aber wenn wir es schaffen, werden die anderen keine Sklaven aus uns machen. Weder die Bolschewisten noch die Plutokraten.«
    »Und Sie sind sicher, dass die Bombe nicht auf eine Stadt in Russland oder England geworfen wird?«
    Diebner schaute Werdin erstaunt an. Was ist das für einer?, mochte er sich fragen. »Wir begehen keinen Massenmord«, sagte Diebner. »Jedenfalls nicht mehr. Leider begreifen das nicht einmal die Amerikaner. Von Churchill und Stalin erwarte ich kein Verständnis, aber Roosevelt hätte schon längst die Notbremse ziehen müssen.«
    Das war keine Antwort auf seine Frage, aber Werdin bohrte nicht nach. Es war am Ende sowieso nicht Diebner, der entschied, was mit der Uranbombe geschehen sollte. Ob Wehrmacht, ob SS - in ihrer Verzweiflung würden die Herren in Berlin die Bombe werfen. Wenn es hart auf hart kam, dann würden sie auch Reichskanzler Goerdeler zetern lassen. Er hatte keine Bataillone. Er war gegen den Anschlag auf Hitler gewesen, den die neuen Herren immer noch als Fliegerangriff verkauften, um nicht den Volkszorn auf sich zu

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