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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Behinderungen des Alters plagte. Der Kontakt zu ihr war schlecht, er hatte all die Jahre zu wenig Zeit gehabt. Wenn sie einmal tot war, würde er es bedauern.
    Er feierte Weihnachten mit Erna Tauber. Sie hatte Briefe von ihrem Mann und ihrem Sohn erhalten. Sie überreichte Werdin ein Päckchen.
    »Das ist von Ihrer Verlobten«, sagte sie. Irma schickte einen Kuchen und einen Brief, in dem sie ihn scherzhaft mahnte, sich keinesfalls mit einer Schwäbin einzulassen, die seien geizig. Sie dagegen habe keinen Aufwand gescheut, um ihm zu Weihnachten einen Marmorkuchen zu backen, mit echter Butter und echter Schokolade. Keine Frau im gesamten Württemberg hätte das für ihn getan. Er freute sich und teilte sich den Kuchen mit Erna Tauber. Am Abend leerten sie eine Flasche Rotwein. Es mag am Wein gelegen haben, dass Erna Tauber plötzlich zu weinen begann und nicht mehr damit aufhören wollte. Werdin wartete hilflos, bis das Schluchzen nachließ. Sie entschuldigte sich und bat um Verständnis, sie wolle zu Bett gehen.
    Rettheim hatte eine Karte geschickt. Sie las sich traurig, Weihnachten machte Rettheim zu schaffen. Seine Frau, seine Tochter und seine Mutter waren bei Bombenangriffen getötet worden. Der Vater war früh gestorben. Ein Bruder wurde an der Ostfront vermisst. Manchmal bedaure er es, dass Werdin ihn vom Strick abgeschnitten habe, schrieb er. Was er verklausuliert über die militärische Lage berichtete, klang nicht optimistisch. Wahrscheinlich trank er wieder mehr, als ihm gut tat. Wenn der Krieg nicht bald aufhörte, würde Rettheim sich zu Tode saufen.
    Der Januar verging im üblichen Trott. Im Februar erklärte Diebner, sie seien womöglich schon Anfang April fertig. Allerdings befänden sie sich in einem Dilemma, auch die Regierung habe es erkannt: Sie konnten keine Versuche machen. Auch der Einsatz zur Demonstration sei gefährdet, denn man müsse ihn den Feinden zuvor ankündigen. Sonst bestehe die Gefahr, dass der Zweck verfehlt werde. Wenn man ihn aber ankündige, und die Bombe funktioniere aus irgendwelchen Gründen nicht, dann mache man sich lächerlich vor der Welt.
    »Und was ist die Folgerung daraus?«, fragte Werdin.
    »Das lassen Sie sich mal von unserer Regierung erklären«, erwiderte Diebner bitter. »Die wissen das offenbar auch nicht. Wir können ja die Uranbomben unseren Feinden zum Kauf anbieten, oder vielleicht als Geschenk. Wir arbeiten wie die Verrückten, und die Herren in Berlin haben keine Ahnung, was sie mit den Dingern anfangen sollen. Man ziert sich ja so gerne.«
    Werdin ahnte, Diebner kannte nur einen Verwendungszweck für die Wunderwaffe. Er hatte jahrelang an der Teufelsbombe gearbeitet. Nun wollte er beweisen, dass er die Urgewalt der Materie bändigen und entfesseln konnte. Diebner hätte keine Hemmungen, Paris, Brüssel oder Kiew auszulöschen, wenn dadurch der Krieg nicht umsonst war. Es war zu befürchten, dass diese Sicht sich auch in Berlin durchsetzte. Auf keinen Fall durften die Russen Deutschland beherrschen, das war das Evangelium aller Strömungen der Nationalen Versöhnung, die in der Reichshauptstadt zäh um die Macht rangen. Auch fand sich niemand, der einer bedingungslosen Kapitulation zugestimmt hätte, wenn es eine Chance gab, die Katastrophe zu vermeiden. Und es gab eine Chance. Alles steuerte darauf hin, diese Chance so wirkungsvoll wie möglich zu nutzen. Moralische Bedenken dagegen vorzubringen käme in den Augen mancher einem Landesverrat gleich.
    ***
    Wie ein Lastensegler sah das nicht aus, was Zacher in seiner umgebauten Heinkel He 111 seit Monaten hinter sich her schleppte. Es hatte eher die Form einer Riesenbombe mit Flügeln. Unter die Flügel hatten Techniker Raketentriebwerke gebaut. Sie wurden beim Start gezündet, schoben die Flügelbombenattrappe an, damit Zacher mit seinem Schlepper abheben konnte. Beim ersten Mal war die Bombe zu schnell gewesen und hätte fast die Heinkel auf der Landebahn zerstört. Zacher hatte das Elftonnengeschoss im letzten Moment ausgeklinkt und das Flugzeug brutal in eine Kurve gezwungen. Nun setzte der Raketenschub vorsichtiger ein, in letzter Zeit hatten sie einige gute Flüge hingelegt. Es war ein teures Unternehmen, bei jedem Versuch wurde die Bombenattrappe zerstört.
    Dann übte Zacher mit seiner Mannschaft, wie sie die Bombe in der Luft ausklinken mussten, um sie genau ins Ziel zu bringen. Der Navigationsoffizier, ein schweigsamer Oberleutnant namens Seiden mit stumpfroten Haaren und Pickelgesicht, arbeitete

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