Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
von seiner Wohnung auf die Straße hinunter und wartete. Als er sie nach einer guten Stunde sah, eilte er die Treppe zur Haustür hinunter und ließ sie hinein. Sie sagte kein Wort, folgte ihm in seine Wohnung. Er schloss die Tür und nahm sie in den Arm. Sie legte ihren Kopf gegen seine Brust.
    »Du zitterst«, sagte sie.
    »Hast du zu Hause Ärger gekriegt?«
    »Nur ein bisschen. Ein anständiges Mädchen fährt spät am Abend nicht mehr durch die Stadt, schon gar nicht zu einem Mann. Aber dann hat er eingesehen, dass er mich nicht einsperren kann.«
    »Es ist etwas passiert«, sagte er. Er hielt sie im Arm und erzählte alles über sich und die Gefahr, die ihm drohte. Sie hörte zu. Als er fertig war, sagte sie: »Ich komme mit.« Sie klang entschlossen.
    Er spürte, sie würde sich nicht umstimmen lassen. Er wollte es auch nicht. »Du bist verrückt«, sagte er und drückte sie an sich.
    Aus der Ferne näherte sich ein Dröhnen. Die Engländer flogen einen Nachtangriff auf Berlin - trotz Goerdelers Ultimatum. Die Amerikaner hatten sich tagsüber nicht gezeigt. Sie begriffen schneller als ihre Verbündeten in London.
    »Es ist gefährlich«, sagte er. »Wenn sie uns erwischen, bringen sie dich um.«
    »Ja«, erwiderte sie leise.
    Die Luft vibrierte. Heulen, Krachen. Sie nahmen sich die Stadtmitte vor. Es mussten tausende von Bombern sein. Es blitzte und donnerte. Rot leuchteten Flammen durch die Fenster. Das Hause wankte unter den Einschlägen in der Nachbarschaft. Werdin und Irma standen Hand in Hand am Fenster und schauten hinaus. Flakscheinwerfer warfen ihre Lichtkegel in den Himmel. Silbrig spiegelten Bomberrümpfe das Licht wie winzig kleine Sterne. Irma trat zurück vom Fenster und zog Werdin zum Flur. Es roch nach brennendem Holz, vermutlich fackelte ein Dachstuhl ab in der Nähe. Sie steuerte das Schlafzimmer an. Sie ließ ihn los, ging zum Bett. Sie knöpfte sich die Bluse auf und ließ sie auf den Boden fallen. Ihre Hände fanden den Verschluss ihres Büstenhalters im Rücken und öffneten ihn. »Komm«, sagte sie.
    Am nächsten Morgen rief Werdin Gottlieb an. Er brauche Papiere, eine Dienstverpflichtung für Irma bei irgendeiner Firma in Köln, für ihn einen Marschbefehl und einen Dienstausweis, alle mit falschen Namen. Gottlieb versprach, die Papiere bis zum Nachmittag zu besorgen. Er werde sie vorbeibringen. Gottlieb zögerte keinen Moment, seine Hilfe zuzusagen. Der biedere SD-Mann wagte sein Leben für Werdin. Werdin empfand Dankbarkeit. Gottlieb war den Weisungen und Wendungen der Führung immer fraglos gefolgt. Und jetzt half er einem Verräter, besorgte er Papiere aus der Fälscherwerkstatt des SD. Unerklärlich.
    Am Vormittag fuhren sie gemeinsam nach Biesdorf. Irmas Eltern widersprachen nicht, als Irma ihnen erklärte, sie würde sie verlassen. Sie waren traurig, erkannten aber, es wäre sinnlos, die Tochter aufzuhalten. Irma packte einen Koffer, den Werdin zum S-Bahnhof tragen wollte. Die Mellenscheidts weinten. Gustav umarmte Werdin und bat ihn, auf Irma aufzupassen. »Wahrscheinlich lebt es sich dort besser, wo ihr jetzt hingeht«, sagte er. Er tröstete sich mit dem Gedanken, es sei für seine Tochter das Beste. Man wisse nicht, wie es in Deutschland weitergehe. »Jetzt, wo wir wahrscheinlich doch nicht verlieren werden. Womöglich werden die Kerle in Berlin nun größenwahnsinnig. Vielleicht geht es noch mal richtig los. Die Herren Generäle werden kribbelig, wenn sie als Einzige eine Wunderwaffe besitzen und die ganze Welt schikanieren können. Geht möglichst weit weg, nach Amerika oder nach Australien.«
    Schweigend liefen Werdin und Irma zum S-Bahnhof. Er kaufte die B.Z., die wegen Papiermangels zu einem dünnen Blättchen geschrumpft war. An den Fronten sei es ruhig geworden. Es herrschte ein unausgesprochener Waffenstillstand, die Armeen standen unter dem Schock der Uranbombe. Amerikaner und Engländer würden sich wohl bald darauf verständigen, vorerst keine Luftangriffe mehr zu fliegen. In Genf würden sich bald Abgesandte der am Krieg beteiligten Großmächte treffen. Vielleicht ging das Sterben zu Ende. Keine Bombenangriffe mehr, keine Angst mehr vor den Russen, es war unvorstellbar.
    Aber die Freude würde die SS nicht daran hindern, sich Verräter vorzuknöpfen.
    Gottlieb wartete schon vor dem Haus in der Kloedenstraße, in dem Werdin wohnte und das wie durch ein Wunder von der Vernichtung durch den letzten Bombenangriff verschont geblieben war. Auf der Straße lagen noch die

Weitere Kostenlose Bücher