Der 21. Juli
Die Stadt bestehe nur noch aus rauchenden Trümmern. Sowjetische Wissenschaftler seien auf dem Weg nach Minsk, um Radioaktivität zu messen. Schon davor legte sich die BBC fest, die Deutschen hatten als Erste eine Atombombe eingesetzt.
»Ist das möglich?«, fragte Mellenscheidt.
»Ja, das ist die Wahrheit. Ich kenne die Leute, die die Uranbombe gebaut haben. Deshalb war ich in Haigerloch.«
Mellenscheidt schaute Werdin erstaunt an.
»Ich war dort so eine Art Sicherheitsoffizier. In Wahrheit hatte ich nichts zu tun, jedenfalls nichts Vernünftiges.«
Irma kam die Treppe hinunter. Auch sie aufgeregt. Er stand da in einem von Mellenscheidts Schlafanzügen und rieb sich die Augen. Gustav ging nach oben. Margarete hatte gerufen,
das Frühstück sei fertig.
»Ist der Krieg nun zu Ende?«, fragte Irma.
»Möglich. Die haben genug von diesen Bomben, um die Sowjetunion und England fast zu vernichten. Seit Hitler tot ist, sinkt in den Demokratien die Überzeugung, dass man weiterkämpfen muss. In Amerika soll es schon viele geben, die nicht mehr Deutschland für die Hauptgefahr halten, sondern die Sowjetunion. Und nun die Bombe, niemand weiß, welche Stadt als Nächstes eingeäschert wird. Wenn die Luftwaffe sie auf Südengland wirft, ist nicht nur London ein Friedhof, sondern halb Großbritannien. Jetzt kann man keinen Krieg mehr führen. Vielleicht kapieren das ja sogar die Tommies.« Ihm wurde kurz schwindelig. »Sie haben es getan«, sagte er leise. »Sie haben es wirklich getan. Es ist Massenmord.«
»Es ist Krieg«, erwiderte Irma. Sie schaute ihn erstaunt an.
Sie begreift es nicht, dachte Werdin. Aber wer soll das begreifen?
»Ich habe dir noch gar nicht Guten Morgen gesagt.« Irma küsste ihn auf den Mund und lehnte ihren Körper an seinen. Sie strich ihm durchs Haar. »Lass uns nach oben gehen, da läuft das Radio«, schlug sie vor.
Gespannt lauschten sie dem Radio. Neue Informationen über die Bombe. Der Sprecher mühte sich um Sachlichkeit, doch der Triumph klang durch. Otto Hahn war mit einem Schlag Deutschlands berühmtester Wissenschaftler, Straßmann ein Held, Heisenberg der Jung-Siegfried der Atomphysik, Weizsäcker sein Knappe und Diebner der einsame Feldherr, dem am Ende alle zujubeln. Die Kraft der Sonne sei nun in Deutschlands Hand, der größte Sieg der deutschen Wissenschaft. Das sei auch der SS zu verdanken, in der die deutsche Organisationskunst den höchsten Grad erreicht habe. Der Name der SS, Schutzstaffel, erfahre nun eine neue Bedeutung. »Sosehr wir den deutschen Wissenschaftlern zu Dank verpflichtet sind, er gilt nicht minder dem Reichsführer-SS, der die gesamte Kraft der Schutzstaffel gebündelt hat zu einer Wirtschafts-und Organisationsleistung, die die Welt in Erstaunen versetzt. Fast am Boden liegend, hat unser Vaterland sich durch eine übermenschliche Leistung aus der tödlichen Umklammerung der Feinde befreit. Der Kampf war nicht umsonst.«
In den USA meldeten sich Isolationisten zu Wort. Viele US-Politiker entdeckten nun, dass sie schon immer dagegen gewesen seien, sich in die europäischen Streitereien einzumischen. Sie lasteten Roosevelt an, er sei auf Churchill hereingefallen. Seit dem Versailler Friedensvertrag sei jedem Menschen klar, dass es einen neuen Krieg geben musste.
»Und die britische Regierung hat das Feuerholz gestellt«, sagte der ehemalige amerikanische Botschafter in London, Joseph Kennedy. Die »Krönung des Versagens« nannte er das Bündnis mit der Sowjetunion, mit dem »Schlächter Stalin«, der den amerikanischen Interessen mehr geschadet habe, als Hitler es je vermocht hätte. »Wir sollten die deutschen Lebensinteressen respektieren«, sagte er. »Und komme mir nicht der mit deutschen Verbrechen, der zu sowjetischen schweigt.« Ein ähnliches Bild in England. In der Presse wurde Churchill vorgeworfen, die deutschen Friedensangebote vor dem Krieg im Westen 1940 abgelehnt zu haben. Die Niederlage Frankreichs und Englands bei Dünkirchen sei die Quittung für die Drangsalierung Deutschlands durch einen hochfahrenden Größenwahn französischer Politiker, denen britische Kollegen willfährig applaudiert hätten. Wer ein Land schikaniert, darf sich nicht über den Hass beklagen, der ihm dort erwächst. Und auch in England wurde der Vorwurf laut, die Sowjetunion immer noch zu unterstützen, obwohl der Hauptfeind Hitler längst tot sei. Am Ende eines BBC-Kommentars stand die Frage: »Wo fällt die nächste Bombe?« Fast genüsslich berichtete der
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