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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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dann tragen wir das Dynamit nur ein paar Straßen weiter. Wir wollen aber vorankommen, die Deutschen wollen es auch. Und mir scheint, es gibt ein paar Dinge, wo wir gemeinsame Interessen haben. In Asien zum Beispiel, denken Sie an China, wo der Genosse Mao Zedong in den Bergen hockt und nicht vorankommt mit seiner Revolution. Da hätten wir gerne im Osten die Hände frei. Die Amerikaner sehen es nicht gerne, wenn wir in Asien mehr tun. Den Deutschen ist es egal. Die wollen ihre Industriewaren nach Afrika und Südamerika exportieren, das ärgert die amerikanische Konkurrenz. Vor allem aber, machen wir uns nichts vor, wollen die Deutschen immer noch die Weltherrschaft. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Daher ist ein Zusammengehen mit ihnen nur für eine bestimmte Zeit möglich. Man muss diese Zeit nutzen, klüger als beim letzten Mal. Irgendwann gibt es wieder Krieg, und dann müssen wir so stark sein, dass wir gewinnen, ein für alle Mal.«
    Grujewitsch fühlte sich wie im Theater. Berija, selbstgefällig, laut, sich berauschend an den eigenen Worten. Grujewitsch war nicht überzeugt von den Visionen seines Chefs. Es kam ihm so vor, als übte Berija seine Rede für die nächste Sitzung des Zentralkomitees. Dünn, was der Meister deklamierte. Pathos, das den Mangel an Inhalt übertönen sollte. Nein, Grujewitsch war zu erfahren, um auf eine solche Darbietung hereinzufallen. Dahinter steckte die Angst, die Beute des Kriegs doch noch zu verlieren, und die Angst vor der Kriegstechnik der Deutschen. Wenn sie wieder eine Wunderwaffe herbeizauberten, wenn sie die Sowjetunion mit einem Raketenerstschlag vernichteten, bevor ein russischer Bomber überhaupt nur seine Motoren starten konnte? Grujewitsch kannte die Ängste, die den Untergrund bildeten all der schönen Reden über die Unbezwingbarkeit der Sowjetmacht. Er kannte sie auch deshalb so gut, weil es seine Ängste waren. Die Deutschen hatten nicht nur den Affen erfunden, sondern auch die Raketen. Keiner wusste, wie viele sie hatten und gegen wen sie gerichtet waren. Sie ahnten es nur, aber die Ahnung ließ die Furcht größer werden, als Wissen es vermocht hätte.
    Sie hatten eine Zeit lang geschwiegen. Dann fragte Berija: »Und wenn Sie Dulles wären, der Chef des amerikanischen Geheimdienstes. Was würden Sie tun?«
    Grujewitsch überraschte diese Frage. Und dann überraschte ihn, dass er sie sich noch nicht selbst gestellt hatte. Wenn Himmler das Hindernis war für ein Bündnis der Amerikaner mit den Deutschen, wenn er gleichzeitig der Motor war für einen Ausgleich mit Moskau, den die USA als Aggression empfinden mussten, was würde Grujewitsch tun, wäre er Leiter der CIA?
    »Ich würde versuchen, Himmler aus dem Weg zu schaffen.« Er traute sich erst nicht, diesen Schluss zu ziehen, aber die Logik ließ ihm keine Wahl. Wenn man die Dinge in einen richtigen Zusammenhang stellte, ergaben sich die Folgerungen oft fast von allein. Die Folgerung, die Grujewitsch gezogen hatte, war zwingend. Wenn ich als Russe darauf komme, dann ist Dulles schon längst an der Arbeit. Wie würden sie es versuchen? Und wie könnte Grujewitsch es verhindern? Ihn schauderte. Sie hatten es nicht geschafft, Hitler vor dem Tod zu bewahren. Die Strafe dafür war die Bombe von Minsk. Jetzt musste Himmler überleben. Die Strafe, wenn es nicht gelang, sein Leben zu schützen, war womöglich der Untergang der Sowjetunion. Wozu wäre Deutschland fähig mit den Amerikanern im Bündnis! Jede der beiden Mächte war gefährlich, bei den Deutschen kam die Unberechenbarkeit hinzu, weil in Berlin die Fraktionen miteinander rangen, Westorientierung oder Ostorientierung.
    »Aber wie, Genosse Berija, sollten wir Himmler schützen? Damals, 1944, hatten wir Agenten in Berlin, und wir sind gescheitert. Heute haben wir nicht einmal Agenten dort. Außerdem haben wir keine Ahnung, ob die Amerikaner es wirklich wagen, und wenn ja, wie sie es tun wollen.« Grujewitsch fürchtete eine Schimpfkanonade Berijas, der Geheimdienst sei unfähig, wie er es früher manches Mal erlebt hatte. Aber besser jetzt eine Beschimpfung, als später als Saboteur im Keller der Lubjanka zu enden.
    Berija nickte und sagte ruhig: »Ich weiß, wir haben Niederlagen erlitten. Das schreiben wir zwar nicht in der Prawda , aber wir machen uns nichts vor. Das Einzige, was wir tun können, ist, den Deutschen unsere Überlegungen mitzuteilen. Die müssen auf ihren Reichsführer selbst aufpassen. Sie sollen uns aber nicht vorwerfen können,

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