Der 21. Juli
ihn. Cafés hatten Stühle und Tische auf den Bürgersteig gestellt. Die Kleidung der Menschen erschien Grujewitsch farbenfroh und teuer.
»Jetzt biegen wir Unter die Linden ab«, sagte Himmler. »Das ist Deutschlands schönste Straße.«
Straße war eine Untertreibung, fand Grujewitsch. Stumm bestaunte er die baumbestandene Magistrale mit ihren Prachtbauten.
»Ich habe gedacht, lieber Herr Grujewitsch, wir fahren einen kleinen Umweg, um Ihnen einen ersten Eindruck von Berlin zu geben. Wir hätten jetzt in die Gegenrichtung fahren müssen, zum Brandenburger Tor. Ganz in der Nähe ist mein Dienstsitz, in dem ich Sie heute Abend noch begrüßen möchte. Dort ist übrigens auch das Hotel Adlon, Berlins feinste Adresse, in dem wir Ihnen eine Suite reserviert haben. Aber jetzt fahren wir erst einmal ein paar Minuten Richtung Alexanderplatz, wenn Sie einverstanden sind.«
Grujewitsch nickte. Sie passierten die Universität und das Denkmal Friedrichs des Großen. »Er hat sich von der Übermacht seiner Feinde genauso wenig überwältigen lassen wie wir. Dass er nicht unterging, verdankte er den Russen.« Himmler schaute Grujewitsch bedeutungsvoll an. »Es war immer besser für beide, wenn Russen und Deutsche zusammenarbeiteten.«
Grujewitsch glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Er erinnerte sich noch zu gut an das Blutbad, das Himmlers schwarzer Orden angerichtet hatte in der Sowjetunion.
Grujewitsch kannte Bilder von Berlin. Sie stammten aber alle aus der Vorkriegszeit. Er hatte gehört und gelesen von der Zerstörung der Stadt durch das Dauerbombardement der Engländer und Amerikaner. Es war gewaltig, was die Deutschen binnen weniger Jahre restauriert und wieder aufgebaut hatten.
»Wir sind jetzt auf der KaiserWilhelm-Straße, links sehen Sie Lustgarten und Dom, rechts das Schloss. Es ist in einem furchtbaren Zustand. Ich fürchte, wir werden es abreißen müssen. Albert Speer, unser berühmtester Architekt, hat vorgeschlagen, wir sollten einen Palast des Volkes an seine Stelle setzen. Wir hätten ja schließlich eine Regierung des Volks, keine sei freier gewählt als unsere. Aber darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«
»Und wie denken Sie darüber?«
»Ich bin für die Palastlösung. Offen gesagt, etwas, was dem Geist unserer Zeit entspricht, inmitten all der alten Bauten, das wäre nicht schlecht. Wir sollten unsere Spuren nicht nur in Geschichtsbüchern hinterlassen. Nur, Speer war Hitlers Liebling.« Himmler verzog einen Moment sein Lehrergesicht. »Und Hitlers Lieblinge werden nicht mehr von allen geliebt. Die Masse des Volks, gewiss, sie glaubt noch an den Führer. Andere aber sehen das ein bisschen anders. Ich gehöre zur letzteren Gruppe. Was leider auch heißt, dass der ehemalige Rüstungsminister nicht mein bester Freund ist. Als wir damals das Uranprojekt der SS unterstellten, hat Herr Speer keinen Freudentanz aufgeführt. Sie sehen, Herr Grujewitsch, ich bin ganz offen mit Ihnen. Wie ich höre, gibt es ja auch bei Ihnen nicht immer eitel Sonnenschein.«
Grujewitsch antwortete nicht. Der Mercedes wartete eine Verkehrslücke ab und wendete auf der KaiserWilhelm-Straße. Als er die Wilhelmstraße passierte, vorne das Brandenburger Tor, erklärte Himmler, rechts liege das Reichstagsgebäude, das in diesem Jahr restauriert werde. Niemand in Deutschland glaube mehr, dass die Kommunistische Partei das Parlamentsgebäude angesteckt habe. »Außerdem haben Amis und Tommies mittlerweile den Reichstag stärker beschädigt als van der Lubbe.« Himmler lachte leise. Links sei der Dienstsitz der SS und praktischerweise auch der des Innenministeriums. Schließlich sei er nicht nur der Reichsführer der SS, sondern auch Reichsinnenminister.
Das Hotel Adlon überwältigte Grujewitsch. Solch einen Luxus hatte er nie gesehen. Überall Gold und Marmor. Ein Springbrunnen plätscherte im Saal. Die Hermann-Göring-Suite bestand aus drei Räumen, einem Salon, einem Schlafzimmer und einem Badezimmer. Im Salon stand ein Fernsehgerät, davon hatte Grujewitsch bisher nur gehört. Er ließ es sich erklären vom Zimmerpagen, der sein Gepäck auf einem Rollwagen in den obersten Stock befördert hatte. Es war wie ein kleines Kino, wenn auch in Schwarzweiß: In einer Musikrevue warfen leicht bekleidete junge Frauen ihre Beine hoch. Im Salon entdeckte Grujewitsch in einem kleinen Schrank hinter einer Eichenholztür einen elektrischen Kühlschrank, gefüllt mit kleinen Flaschen, Wein, Bier, Cognac, sogar Wodka
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