Der 21. Juli
Frankreich landeten? Nicht nach dem Ableben unseres geliebten Führers« - Krause grinste - »dem wir ja immer noch so furchtbar nachtrauern? Aber der Werdin läuft als Musterknabe der SS durchs Land, und dann verpisst er sich mir nichts, dir nichts zu den Amis. Und das genau in der Zeit der Wende. Wenige in der SS kannten den Uranverein besser als Ihr ehemaliger Chef. Wir brauchen gar nicht zu wetten, der Mann hat den Amis alles verraten. Da fällt die Bombe auf Minsk, und unser Mann in Haigerloch haut ab. Kurz danach freuen sich Amis, Engländer und Russen über unser Waffenstillstandsangebot. Die Sache stinkt doch zum Himmel. Nur, was bringt einen Russenspion dazu, zu den Amerikanern überzulaufen?«
Gottlieb nickte und kratzte sich am Kopf. »Vielleicht hat er sich irgendwann mit seinen Genossen überworfen. Das hat es gegeben. Denken Sie an den Pakt von 39, da sind einige von der Kommune abgesprungen.«
Krause fiel Schellenbergs seltsames Verhalten ein. Der Fuchs wusste, dass Teile der Personalakte Werdins fehlen, jede Wette. Er hat Werdin zum Uranprojekt geschickt. Er hat Krause beauftragt, Werdin auf die Nerven zu gehen, ihm fast zu drohen. Und wenn Schellenberg die Akte selbst gesäubert hat? Wenn er verdecken will, was Werdin in den letzten Monaten getrieben hat? Wenn er verdecken will, was Schellenberg oder vielleicht gar Himmler mit Werdin getrieben haben? Ein abenteuerlicher Gedanke kroch Krause ins Hirn. Wenn die längst wussten, dass Werdin ein Spion ist, und ihn benutzt haben? Wenn sie ihn zum Abhauen zwingen wollten, zum Verrat? Es passte alles zusammen. Es wäre nicht das erste Mal, dass man dem Feind Material zuspielt, um ihn zu foppen. Dieses Spiel spielten alle Geheimdienste, Desinformation. Nur, was sollte Werdin verraten? Ich kriege es heraus, schwor sich Krause.
»Was ist mit Eltern, Geschwistern und so weiter?«
»Habe ich schon überprüft«, sagte Gottlieb. »Eltern sind tot, Geschwister hat er keine. Es gibt einen Onkel, Bruder der Mutter, der war Mitarbeiter von Reichsbauernführer Darre, ist aber längst in Pension. Er kann sich an Werdin nur als Kind erinnern. Ich habe keinen Grund, seine Aussage anzuzweifeln. Trotzdem werden wir ihn überwachen lassen.«
»Verfluchte Scheiße«, sagte Krause. »Ich sage Ihnen was, er wird die Grenze überwinden. Wie man so was macht, hat er bei uns gelernt. Er wird nach Berlin kommen. Er wird seinen Auftrag ausführen, es wenigstens versuchen. Wir kriegen ihn nur, wenn wir herausfinden, was er vorhat. Es muss ein großes Ding sein, ein richtig großes Ding«, murmelte Krause. »Sonst würden die Amis nicht so einen Aufstand machen. Und warum schicken sie gerade einen ehemaligen SS-Offizier? Und einen, der so gut schießt?« Krauses Laune sank, als er sich an die Niederlagen im Schießkeller erinnerte.
»Sie wollen jemanden abknallen«, sagte Gottlieb, als hätte ihn die große Eingebung überfallen.
Krause wiegte den Kopf hin und her, er überlegte. »Ja, kann sein. Wen?«
Gottlieb zuckte die Achseln.
Krause popelte mit dem kleinen Finger zwischen den Zähnen. »Ob die was von den Verhandlungen mit den Russen mitgekriegt haben?«, fragte er. »Es würde ja passen. Himmler und Berija werden dicke Freunde, und die Amis scheißen sich in die Hose. Unser Goerdeler und der Wirtschaftswunderfritze Erhard hassen die Russen wie die Pest. Aber sie kriegen nichts hin ohne den Reichsführer. Wenn der Reichsführer weg ist ...«
»Freuen sich die Amis. Sie würden ja gerne mit uns die Russen ärgern. Aber die SS und unseren großen Meister mögen sie noch weniger. Ob Werdin unseren Reichsführer umbringen soll?« Gottlieb lachte trocken. »Dann hätten sie gleich zwei Fliegen mit einer Klatsche erschlagen. Sie haben ihren rachsüchtigen Juden einen Gefallen getan, und sie können das Bündnis des Abendlands gegen die bolschewistische Gefahr beschwören.«
»Mag sein. Logisch ist es«, sagte Krause mürrisch. Er ärgerte sich, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein. Gottlieb lag vielleicht richtig. Wenn ich Mr. Dulles wäre, dann würde ich Himmler killen, dachte Krause. Nur bin ich nicht Mr. Dulles.
»Wir werden auf unseren Reichsführer besser aufpassen müssen«, sagte Krause. »Beweisen können wir nichts. Aber sicher ist sicher.«
Er lachte leise. Das hatte Waltraud auch gesagt, als sie den Präser aus der Handtasche zog. Und er hatte sich darauf eingelassen.
Stahl auf Stahl, quietschend hielt der Zug im Venloer Bahnhof. Der Lokführer
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