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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Dummheiten. Die Bahnhöfe werden überwacht. Den Letzten haben sie in Rheydt auf dem Hauptbahnhof geschnappt. Wir geben dir ein Fahrrad, bis Köln sind es gut achtzig Kilometer. Manchmal gibt es auf den Straßen Kontrollen, aber auf Radfahrer sind die Kameraden von Polizei und SS bisher nicht so scharf. Ich habe hier eine Karte. Wenn du die Nebenstrecken nimmst, kannst du es schaffen.« Er klopfte Werdin auf die Schulter. »Oder auch nicht.«
    ***
    Er saß im Wohnzimmer und trank. Wenn er aus dem Fenster blickte, sah er die Schrebergärten und Häuschen der Laubenkolonie, die auf der anderen Straßenseite begann. Die Kolonie erstreckte sich von der Rummelsburger Straße bis zur Eisenbahnlinie. Wenn der Wind von Süden blies, konnte man das
    Rattern der Züge hören. Irma war aus der Küche gekommen und lehnte sich an den Türrahmen. Sie betrachtete ihren Mann, der ihr den Rücken zugekehrt hatte. »Trink nicht so viel«, sagte sie. Ihre Stimme war matt, sie hatte aufgegeben. Sie hielt es für ihre Pflicht, ihren Mann zu ermahnen, doch sie wusste, es nutzte nichts. Am schlimmsten war, sie konnte es verstehen.
    Helmut von Zacher hatte nach dem Krieg angefangen zu trinken. Sie hatten ihn befördert, bald war er Generalmajor und Chef einer Luftarmee. Sie überhäuften ihn mit Orden und Geld, er gehörte zu den Helden der Wochenschau. Millionen Deutsche kannten ihn. Alle Größen des Reichs hatten sich angebiedert. Sie boten ihm Villen am Wannsee an oder wo immer er wollte. Irma und Zacher lehnten alle Vorschläge ab. Ihnen genügte das Vierzimmerhaus in Friedrichsfelde. Sie hätten sich nicht wohl gefühlt zwischen den alten und den neuen Reichen des Deutschen Reichs.
    »Kündige, wir ziehen nach Königsberg, da kannst du immer noch Dozent werden«, sagte Irma.
    »Selbst wenn sie mich lassen, mir fehlt die Kraft. Und die Würde, um Kant zu studieren und zu lehren. Es gibt nichts, was mir die Würde wiedergeben kann.«
    Gegen ihre Überzeugung widersprach Irma: »Du hast einen militärischen Auftrag durchgeführt. Es ist nicht deine Schuld.« Sie legte ihm von hinten die Hand auf die Schulter.
    »Ein anderer hätte es vielleicht vermasselt. Oder sich geweigert, es zu tun.«
    »Der wäre vors Kriegsgericht gestellt worden«, sagte Irma.
    »Ja, es wäre ein ehrenvolles Ende gewesen. Das Üble ist nur, ich war stolz auf den Auftrag. Darauf, dass sie unter allen Piloten gerade mich ausgesucht hatten. Der Reichsführer-SS und Luftmarschall Milch haben mir beigebracht, ich sei der Einzige, dem sie zutrauten, Deutschland zu retten. Ich, der Jagdflieger, sollte den Bomber steuern. Das wichtigste Luftunternehmen der Kriegsgeschichte. Und ich habe es getan. Erst Monate später begann ich zu begreifen, was ich wirklich getan habe. Ich habe eine Stadt ausgerottet, mit Alten, Frauen, Kindern. Da gab es kaum Soldaten. Die Leute krepieren heute noch an der Strahlung. Ich, der die SS-Mörderbande immer gehasst hat, ich habe nicht Deutschland gerettet, sondern die schwarze Pest. Das Deutschland, in dem wir leben, ist nicht mein Land. Es ist das Land der Massenmörder. Und ich bin einer von ihnen.«
    »Wenn du es nicht getan hättest, wären die Russen über uns hergefallen.«
    »Ja«, sagte Zacher. »Aber das wäre nichts gewesen, verglichen mit dem, was ich angerichtet habe.«
    So oder so ähnlich verliefen die Diskussionen seit Jahren. Irma war nicht einmal mehr verzweifelt. Sie hatte es aufgegeben. Vorgesetzte und Untergebene mühten sich Zachers Verfall nicht wahrzunehmen.
    Ihr gelang es nicht. Wenn er vom Dienst heimkam, sagte er selten etwas. Er setzte sich in die Küche, wo sie mit Josef zu Abend aßen. Irma bedauerte ihren Sohn, er hatte einen Vater, der nie lachte. Hin und wieder strich Zacher Josef über den Kopf oder zwang sich anerkennend zu lächeln, wenn der Junge eine gute Note aus der Schule mitgebracht hatte.
    Nach dem Essen verzog sich Zacher ins Wohnzimmer, er blätterte in Zeitschriften, las etwas in einem Buch und trank. Längst gab es keine Besucher mehr. Zachers Niedergeschlagenheit überwältigte am Ende immer die gute Laune, auch wenn Irma sich noch so quälte.
    Oft dachte sie, sie müsse sich von Zacher trennen, und wenn es nur Josefs wegen wäre. Aber sie schob diesen Gedanken gleich wieder weg. Zacher hatte sie gerettet. Ohne ihn wäre Josef in einem Arbeitslager zur Welt gekommen und aufgewachsen. Deutschlands Kriegsheld befreite sie aus dem Keller in der Prinz-Albrecht-Straße, wo der SD sie festhielt,

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