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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Mellenscheidts gelebt hatten. Der Mann hatte gestunken und war an dem Abend, als Krause ihn aufsuchte, angetrunken gewesen. Er klagte, der Führer werde durch den Schmutz gezogen, weil damals über Judenmorde in den Zeitungen berichtet wurde. Dabei war die Darstellung zurückhaltend gewesen, und die SS wurde gelobt, weil sie die Morde beendet habe, nachdem der Führer umgekommen war. Der alte Mann sprach von Verrat und Feigheit. Er habe immer gedacht, das Volk stehe hinter dem Führer wie ein Mann. Aber kaum sei der Führer tot gewesen, seien die Ratten aus den Löchern gekrochen und hätten sich um die Macht gebalgt. Er habe den Reichsführer Heinrich Himmler immer für den treuesten Gefolgsmann des Führers gehalten, aber nun zweifle er sogar an dessen Gesinnung.
    Da hatte Krause eingehakt. Der Reichsführer habe seine Meinung nicht geändert. Er sei Deutschlands treuester Diener. Er habe die Ziele des Reichs nicht vergessen. Aber die Zeiten verlangten neue Methoden. Außerdem: Ohne den Reichsführer hätte Deutschland keine Atombombe gebaut, ohne Atombombe wären die Russen über das Reich hergefallen wie Dschingis Khans Horden, wenn nicht noch schlimmer.
    Das hatte dem alten Nazis eingeleuchtet. Er fühlte sich als Eingeweihter. Wenn ihm etwas Verdächtiges auffiel, würde er beim SD anrufen. Krause hatte ihm eingeschärft, jeden zu melden, der nach den Mellenscheidts fragte. Allerdings zweifelte er an der Zuverlässigkeit dieses Informanten. Spätestens wenn der stinkende Nazi ein paar Gläschen intus hatte, würde er Besucher an der Tür genauso kurz und unhöflich abfertigen, wie er es mit ihm versucht hatte. Krause hatte ihm damals die Tür eingetreten. Die Sprache verstand der Alte.
    Das Telefon klingelte. Krause hob ab und hörte Waltrauds piepsige Stimme.
    »Ich habe jetzt keine Zeit«, schnauzte er ins Telefon.
    »Wann hast du denn Zeit für mich?«, flötete Waltraud.
    »Nie mehr«, sagte Krause kalt. Er wollte auflegen, da hörte er ein Schluchzen. Er drückte den Hörer wieder gegen das Ohr. »Lass uns heute Mittag darüber reden, ja?«, fragte Krause.
    »Ja«, sagte Waltraud mit belegter Stimme.
    Krause glaubte einen Moment, er habe Gottlieb grinsen gesehen. Er schaute ihn grimmig an, dann sagte er sich: Gut, gegrinst hätte ich auch, wenn ich ein solches Telefonat mitgekriegt hätte. Krause war stolz auf seinen Ruf als Frauenheld, und wenn er Anspielungen darauf hörte, wuchs der Stolz noch ein wenig. Er würde Waltraud noch eine letzte Mittagspause opfern. Die bisherigen Mittagspausen, die er mit ihr verbracht hatte, waren befriedigend gewesen. Aber seit Waltraud mehr wollte, empfand er sie als Last. Obwohl, wenn er so darüber nachdachte, vielleicht würde sie sich beruhigen und froh sein, wenn er sich hin und wieder mit ihr befasste. Sie hatte ihre Vorzüge, keine Frage.
    »Wir suchen also einen SS-Offizier namens Oskar Brockmann, der irgendwo in Berlin untergekrochen ist.«
    »Jedenfalls ist er gestern in Biesdorf gewesen«, erwiderte Gottlieb.
    »Dann geben wir den lieben Kollegen von der Orpo gleich Fahndungsfotos und eine Personenbeschreibung. Und zwar sofort.« Krause betonte das »sofort«. »Und die sollen die Meldezettel der Hotels und Pensionen genau kontrollieren.« Ihn nervte die bürokratische Lahmheit der Ordnungspolizei. Bevor die Schupos in die Gänge kamen, vergingen manchmal Tage. Das galt besonders, wenn der SD eine Fahndung ausschrieb.
    »Unsere Leute überwachen das Haus in Biesdorf und das Haus in Friedrichsfelde«, befahl Krause.
    »Er wird nach Friedrichsfelde kommen«, sagte Gottlieb. »Eher früher als später.«
    »Und dann werden wir ihn uns holen«, sagte Krause. Er schaute auf die Armbanduhr, eine Dugena, die er Hermann Weißgerber weggenommen hatte, bevor er ihn foltern ließ. Weißgerber war längst tot, aber seine Uhr lebte weiter. Wie kam ein Kommunist zu einem solch teuren Chronometer?,
    fragte sich Krause. Dann fiel ihm ein, dass Waltraud auf ihn wartete.
IV.
    G rujewitsch saß in seiner Suite im Adlon und trank Whiskey. In den letzten Tagen hatte er viele neue Menschen getroffen, sie waren alle freundlich gewesen. Und er hatte Whiskey kennen gelernt. Der wurde vom amerikanischen Klassenfeind aus Mais gebrannt und schmeckte Grujewitsch besser als der heimische Wodka. Auch der grusinische Weinbrand konnte da nicht mithalten. An diesem Abend hatte Grujewitsch einige Gläser Whiskey getrunken. Er dachte an Anna. Sie war so weit weg und ihm doch so nah, besonders

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