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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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ausgesehen hatten im Krieg. Er beobachtete die Leute in seinem U-Bahn-Wagen am Ende des Zugs. Erschöpfung und Angst waren verschwunden. Da gab es ernst blickende Geschäftsleute im Sommeranzug, kichernde Jugendliche in bunten Röcken, Hosen, Blusen und Hemden. Statt abgerissener Gestalten viele gepflegte Gesichter und Hände, gutes Schuhwerk. Es hatte weniger als acht Jahre gedauert, um den großen Krieg fast völlig wegzuwischen. Ein paar Ruinen noch, Bettler auf den Straßen, aber die fand man im reichsten Land der Welt auch. Am meisten fielen Werdin die Invaliden auf, von ihnen gab es auffallend viele, meistens Männer, ohne Arm oder Bein, mit zerschossenen Gesichtern, in Rollstühlen, an Krücken. Lebende Zeugnisse der Katastrophe. Die Leute in der Bahn lasen, oder sie schauten aus den Fenstern auf die Baustellen Berlins, das schöner wieder auferstehen sollte, als es je gewesen sei, sagten Plakate an Mauern und Litfaßsäulen.
    Auch die Autos zeugten von einer neuen Zeit, neben Vorkriegswagen neue Modelle von Mercedes-Benz, BMW, DKW, Borgward oder Opel, am meisten aber sah man die buckligen Volkswagen.
    Acht Jahre waren eine lange Zeit, aber sie waren nicht lang genug, um die Erinnerung zu verschütten. Auf dem Weg zu dem Haus in der Wönnichstraße, in dem er Rettheim so oft besucht hatte, kam es ihm vor, als wäre er gestern erst in der Gegend gewesen. Dann fiel ihm auf, dass die Lücken in den Häuserreihen geschlossen waren. Er fand den Klingelknopf von Rettheims Wohnung, es war noch das alte Schild. Er drückte die Klingel und öffnete die Haustür. Dritter Stock, rechts, hatte sich ihm eingeprägt. Die Tür der Wohnung war angelehnt.
    »Kommen Sie rein!«, rief eine Stimme. Sie klang heiser.
    Werdin trat in die Diele, als sich ihm aus der Küche ein Kopf entgegenstreckte. Die Augen starrten ihn an, als wäre Werdin ein Außerirdischer, der Mund öffnete sich, aber er brachte keinen Laut heraus. Schließlich sagte Rettheim: »Ich werd verrückt.«
    Werdin grinste. »Was man ist, kann man nicht werden.« Er schloss die Wohnungstür, ging in die Küche und setzte sich auf einen Stuhl.
    Rettheim stand wie erstarrt. Er drehte sich zu Werdin um und sagte: »Das letzte Mal habe ich dich, glaube ich, 1945 gesehen.«
    »Das kommt etwa hin.« »Da kommst du jetzt nach acht Jahren in dieser Scheißuniform so mal eben vorbei, um dem alten Gustav Guten Tag zu sagen. Verstehe ich das richtig?«
    »Fast«, sagte Werdin.
    »Wo warst du?«
    »In Amerika, ein kleines Stück nördlich der mexikanischen Grenze.«
    Rettheim blickte verständnislos. »Du bist also abgehauen«, sagte er nach einer Weile.
    Werdin nickte.
    »Wann?«
    »Kurz bevor der Krieg zu Ende war.«
    »Das heißt: kurz bevor wir den Krieg sieghaft beendeten.«
    Rettheim hatte seinen Zynismus nicht abgelegt. Werdin nahm es als gutes Zeichen. Wenn Rettheim der Alte geblieben war, vielleicht würde er ihm helfen. Allerdings konnte es bedeuten, dass er dann zusammen mit einem Krüppel fliehen musste. Rettheim gewann seine Fassung zurück. Er setzte Teewasser auf, so, wie er es immer getan hatte, wenn Werdin ihn besuchte.
    »Jawoll, Herr Major!«, sagte Werdin mit gespielt ernster Miene.
    »Herr Oberst, wenn ich bitten darf! Unsere Führung vergisst ihre Krüppel nicht. Nach dem großen Sieg gab es reihenweise Beförderungen, eine fiel für mich ab.«
    »Verzeihung, Herr Oberst.« Werdin legte seine rechte Hand an eine imaginäre Schirmmütze.
    »Soldaten entschuldigen sich nicht«, erwiderte Rettheim streng.
    »Mein Gott, in deiner Einheit hätte ich nicht dienen wollen«, sagte Werdin lachend.
    »Seit wann glaubst du an Gott? Ihr schwarzen Jungs habt es doch eher mit den alten Germanen, mit Wotan oder Got oder wen euer famoser Reichsführer noch so alles ausgraben lässt. Ach ja, und die Männer meiner Einheit schreiben mir heute noch nette Briefe, jedenfalls die paar, die überlebt haben.«
    Werdin stellte sich Rettheim als Panzermajor vor. Er war gewiss ein ausgezeichneter Vorgesetzter gewesen, kein Kommisskopp, sondern einer, der nichts von seinen Leuten verlangte, was er nicht selbst leistete. Einer, der seine Männer schonte, Opfer vermied, sich klug zurückzog, um zuzuschlagen, wo der Feind schwach war. Ganz anders als die Wahnsinnigen der WaffenSS, die gierig auf Heldentaten waren und auf den Heldentod, wenn es sein sollte. Es gab nicht viele, die den Kommissarbefehl verweigerten und Gefangene anständig behandelten. Werdin zweifelte nicht, dass Rettheim

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