Der 21. Juli
tun, was man sie tun lassen will. Das ist ja nicht das erste Mal.«
Schellenberg schaute Krause vergnügt an. »Sehen Sie, ich selbst habe Werdins Personalakte gesäubert von den Eintragungen der letzten Monate vor seiner Flucht. Ich hätte die Akten auch fälschen können, aber das wäre einem so klugen Kopf wie Ihnen bestimmt aufgefallen. Wer wenig tut, macht wenig Fehler. Also weg mit den Seiten. Sonst wäre noch jemand darauf gekommen, warum ich Werdin nach Haigerloch geschickt habe.« Er schaute Krause in die Augen.
Krause schüttelte den Kopf.
»Die Wissenschaftler von diesem Uranverein konnten gerade eine einzige Bombe bauen. Und nicht einmal bei der waren sie sicher, ob sie funktionieren würde. Wir waren in einer verzweifelten Lage. Wenn wir die Bombe abwarfen, verloren wir unseren Kreuzbuben. Wenn wir sie nicht abwarfen, würde uns nach dem ganzen Wunderwaffengewäsch keiner glauben, dass wir sie haben. Was sollten wir also tun? Wir mussten sie abwerfen und zu Got beten oder meinetwegen auch zu König Heinrich oder Wotan, dass das Ding hochging. Und als es klappte, mussten wir den verehrten Feinden mitteilen, wir hätten noch ein paar mehr von der Sorte im Schrank.«
»Und dann haben Sie einen ausgeguckt, der den Amerikanern das weismachte?« Krause stotterte, es war ihm peinlich.
Schellenberg lachte wie ein Junge, der von einem Streich berichtete.
In einer Ecke der Kneipe grölte ein Besoffener. Der Wirt schaute zu Schellenberg, der winkte kurz. Der Wirt nahm den Betrunkenen am Kragen und schmiss ihn hinaus. Schellenberg nickte als Zeichen des Danks.
»Und mich haben Sie auch eingesetzt bei Ihrem großen Plan. Damals, in der Kneipe,«
»Genau, das haben Sie gut gemacht, Krause. Wir mussten ihm Angst machen, damit er abhaut. Und Sie haben ihm richtig Angst gemacht. Sie hätten Ihre Rolle bestimmt nicht so gut gespielt, wenn Sie gewusst hätten, um was es ging.«
»Wahrscheinlich«, sagte Krause.
»Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen. Inzwischen haben wir genug Uranbomben. Und bald haben wir Raketen, die die Vereinigten Staaten erreichen können.«
»Und was ist mit der Frau?«, fragte Krause.
»Welcher Frau?«
»Dieser Mellenscheidt.«
Schellenberg schüttelte leicht den Kopf. »Das ist eine verrückte Geschichte. Als wir mitkriegten, dass Werdin nicht allein abhauen wollte, waren wir verblüfft, der Reichsführer und ich. Aber dann habe ich mir gesagt, dann soll sie halt mit in Gottes eigenes Land. Hauptsache, ihm passiert nichts. Wir hatten die beiden die ganze Zeit im Auge. Als i-Tüpfelchen hatten wir einen SS-Sturm zum Ufer laufen lassen, die haben geballert wie die Irren. Aber nur in die Luft. So weit lief alles wie geplant. Aber dann tauchte plötzlich ein Feldwebel mit einem Karabiner auf. Der gehörte zu einem der Posten am Ufer. Bevor einer unserer Leute begriff, was los war, hatte der schon angelegt und auf die beiden im Boot geschossen. Da kam also dieser Wehrmachttrottel, legte an und traf die Frau in die Schulter. Stellen Sie sich vor, es hätte Werdin erwischt. Sie fiel ins Wasser. Wir sahen noch, wie Werdin versuchte, sie aus dem Wasser zu holen, aber sie war schon abgetrieben. Ich hatte einen Heidenschiss, dass er ans deutsche Ufer zurückschwimmen würde. Erst sah es so aus, aber dann schwamm er rüber. Ich hätte diesen Feldwebel erwürgen können. Die Frau hatte mehr Glück als Verstand. Die Strömung trieb sie ans Ufer. Da haben wir sie gefunden.«
»Mehr Glück als Verstand«, wiederholte Krause. »Wir alle hatten mehr Glück als Verstand.«
»Und unseren Reichsführer«, sagte Schellenberg grinsend.
»Und dann haben Sie die Dame gesund gepflegt, eingesperrt und wieder laufen gelassen.«
»Tja, wer hätte es damals gewagt, unserem Fliegerhelden einen Wunsch abzuschlagen? Der Reichsführer hat geknurrt, es ging ihm gegen das Prinzip. Aber dann hat Zacher gekriegt, was er gefordert hat.
Und es war gut so. Stellen Sie sich mal vor, wir hätten die Frau wegen Spionage geköpft. Dann hätten wir unser schönes Spielchen nicht spielen können.«
***
Er erkannte den S-Bahnhof Biesdorf gleich wieder. Sogar die Würstchenbude stand noch dort. Nirgendwo anders hatte er hautlose Bratwürste gesehen, sie schmeckten gut. Heute hatte er keinen Hunger. Die Aufregung schnürte ihm den Magen zu.
Das Haus im Kornmandelweg schien ihm unverändert. Nur die Fenster waren beleuchtet, wegen der Verdunkelung im Krieg hatte er es so noch nie gesehen. Offenbar war jemand zu Hause. Mit
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