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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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ein Offizier von Format war. Rettheim hatte nur in Andeutungen über die Zeit vor seiner Verwundung gesprochen, aber die Andeutungen hatten genügt. Was aber noch wichtiger war, Rettheim hasste den Krieg und die Leute, die ihn angezettelt hatten. Er hasste noch mehr diejenigen, die im Krieg den noch erbarmungsloseren Vernichtungskrieg führten gegen Juden und Slawen, gegen Kommunisten und Priester. Deshalb war es kein Risiko, Rettheim zu besuchen.
    Rettheim schüttete kochendes Wasser in eine dunkelbraune Teekanne. Er fluchte leise, als ein heißer Tropfen auf seine Hand spritzte.
    »Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Werdin auf eine nicht gestellte Frage. »Und sie ist eigentlich unverständlich, jedenfalls ziemlich verworren.«
    »Dann passt sie ja zu dir«, sagte Rettheim. »Aber ganz blöd bin ich nicht. Wenn du die Sache in einfache Häppchen zerlegst, verstehe ich deine Geschichte vielleicht sogar. Ich streng mich an, ich verspreche es.«
    Werdin erzählte Rettheim von seinem Weg. Erst Moskaus Spion, dann Kampf auf eigene Faust, als die Russen Hitler retten wollten. Die Uranbombengeschichte. Die Flucht mit Irma. Irmas Tod, Irmas Brief. Sein Leben in den USA. Nur über die CIA, über Crowford und Dulles sagte er nichts. Rettheims Augen zeigten sein Erstaunen, während er unbewegt zuhörte.
    »Du arbeitest also für die CIA oder wie die Firma in Amerika heißt?
    Ich habe da zuletzt einen Artikel über diesen Verein gelesen, der klang nicht gut.«
    Werdin zuckte mit den Achseln.
    »Na ja, immerhin hast du mir nun verraten, dass ich, ohne es zu wissen, für den Feind in Moskau gearbeitet habe. Jedenfalls solange du auf Väterchen Stalin geschworen hast.« Er schaute Werdin lange an.
    »Du bist vielleicht eine seltsame Gestalt.«
    Werdin lächelte. Rettheim hatte Recht, er war eine seltsame Gestalt. Oder ein Verrückter. Einer, der aus der Bahn geworfen worden war und den Rückweg nicht fand.
    »Und was treibt dich zurück in die Heimat?«
    »Himmler«, sagte Werdin.
    Rettheim hob seine rechte Hand und ließ seinen Zeigefinger einen nicht vorhandenen Pistolenabzug drücken.
    Werdin nickte.
    Rettheim pfiff leise. »Warum? Der ist nicht schlimmer als die, die ihm folgen würden. Ich denke da nur an den Kaltenbrunner, und mir wird speiübel.«
    Werdin berichtete ihm von den strategischen Überlegungen seiner Auftraggeber.
    Rettheim versenkte sich eine Weile in Gedanken. »Das klingt verflucht glatt, viel zu glatt. Ich fürchte, du machst mal wieder den Deppen für andere. Wie damals für die Russen. Die einzige
    Zeit, in der du richtig gehandelt hast, war, als du auf eigene Faust gearbeitet hast. Auch wenn ich dein Opfer war«, fügte Rettheim schmunzelnd hinzu.
    Werdin nickte. »Vielleicht ist es so. Vielleicht bin ich der Idiot, der die Schmutzarbeit für andere erledigt und sich auch noch einbildet, das Richtige zu tun. Ich habe in Amerika Zeit genug gehabt, darüber nachzudenken. Zum Beispiel darüber, wie mir die Flucht gelingen konnte, obwohl ich längst hätte überwacht oder gleich verhaftet werden müssen. In allen anderen mir bekannten Fällen war die Gestapo nicht so zimperlich.« Er trank einen Schluck Tee. »Ich habe sogar schon überlegt, ob sie mich zur Flucht getrieben haben. Ob meine Flucht zu einem Plan des Obertricksers Schellenberg gehörte. Der ist für solche Geschichten immer gut. Ich bin ja schließlich abgehauen, weil mir die eigenen Leute gesagt haben, dass sie mich des Verrats verdächtigen.«
    Werdin erinnerte sich an das dubiose Gespräch mit Krause, eine Andeutung nach der anderen. Aber sie verhafteten ihn nicht, sie ließen ihn abhauen, auch wenn sie am Rheinufer ein gewaltiges Feuerwerk veranstalteten. Auch die Schießerei war am besten dadurch zu erklären, dass sie ihn überwachten. Bloß, verdammt, warum haben sie ihn nur überwacht? Hätte er unter der Gestapofolter geschwiegen? Er wusste es nicht.
    »Aber warum sollte ich abhauen? Seit wann schützt die SS Verräter?« Er legte den SS-Dienstdolch auf den Tisch. In die Klinge war eingraviert: »Meine Ehre heißt Treue«.
    Werdin sagte nicht die ganze Wahrheit. Er hatte all die Jahre versucht, seine Flucht zu verdrängen. Wenn er an sie dachte, sah er Irma ins Wasser fallen. Das Bild raubte ihm die Luft, es war, als schnürte ihm ein Stahlkorsett die Brust ein. Ein Albtraum im Wachzustand. Nachts konnte er sich nicht gegen ihn wehren. Aber jetzt, da Irma offenbar lebte und Rettheim die richtigen Fragen stellte, jetzt

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