Der 21. Juli
Chef.
»Wir fliegen heute Abend noch nach Moskau. Ich berufe für morgen Nachmittag das Präsidium ein. Herr Himmler und ich haben einen großen Plan vereinbart. Bereiten Sie alles für die Reise vor.«
VI.
E r verließ das Fotogeschäft und ging zum Brandenburger Tor. Die Quadriga glänzte golden in der Nachmittagssonne. Werdin überquerte die Fahrbahn, die zum Pariser Platz führte. Nur wenige Meter entfernt von der Kreuzung mit der Wilhelmstraße stand das Gebäude des Reichsinnemninisteriums. Nicht weit von hier hatte der Sicherheitsdienst seinen Sitz. Auf der Mittelpromenade setzte er sich auf eine Bank im Schatten einer Kastanie. Er schloss die Augen und dachte an Irma. Sie war verheiratet mit Zacher und schrieb ihm einen Brief. Du sollst wissen, dass wir einen Sohn haben. Ich würde dich gerne wieder sehen. Er erinnerte sich an jene Nacht im Bombenhagel. Sie war gekommen. Sie hatte sich für ihn entschieden, gleichgültig, welche Gefahr ihr drohte.
Als er die Augen wieder öffnete, sah er sie. Es waren drei. Zwei saßen auf einer Bank schräg gegenüber, einer von ihnen hielt eine Zeitung in den Händen, ein Dritter tat so, als wäre er Spaziergänger. Sie hätten sich als Clowns verkleiden können, Gestapofressen ließen sich nicht verstecken. Und schon gar nicht, wenn sie zu dritt auftraten. Die Gestapo war im SD aufgegangen, aber die Visagen blieben die Gleichen. Im Geist sah er die drei in den lächerlichen Ledermänteln, die bei der Gestapo so beliebt gewesen waren. Die hier trugen leichte Anzüge, dunkel und billig. Sie verhafteten ihn nicht, also wollten sie herausfinden, wohin er ging. Werdin war sich sicher, als er Rettheim besuchte, hatte ihn niemand verfolgt. Wahrscheinlich fahndeten sie mit einem Foto nach ihm, vielleicht wegen des Mords in Rotterdam. Aber das war jetzt gleichgültig. In den Augen der SS hatte er genug verbrochen, es kam auf einen Mord nicht an. Landesverrat reichte für die Guillotine in Plötzensee.
Er musste sie abschütteln, er durfte sie nicht zu Irma führen. Wen immer er besuchte, der war in Todesgefahr. Er überlegte die nächsten Schritte. Friedrichsfelde oder Lichtenberg durfte er nicht nahe kommen. Er stand auf und ging zur U-Bahnstation Unter den Linden. Als er die Fahrbahn überquerte, sah er im Augenwinkel die drei Gestalten. Sie hatten nicht bemerkt, dass er sie entdeckt hatte. Langsam stieg er die Treppen zum Gleis hinunter. Er nahm einen Zug Richtung Potsdamer Platz. Die drei Gestalten stellten sich in denselben Wagen, sie sicherten beide Türen. Angestrengt blickten sie nicht zu seinem Sitz herüber. In der Station Potsdamer Platz stieg Werdin aus, die drei folgten ihm in einigem Abstand wie Hunde an der langen Leine. Er nahm den Zug Richtung Uhlandstraße, die drei Gestapofressen im Schlepptau. Am Wittenbergplatz verließ Werdin gemächlich den Zug. Er entschied sich für den Treppenaufgang zur Tauentzienstraße, schlenderte zum Kaufhaus des Westens , betrat es durch den Haupteingang und fuhr mit der Rolltreppe in den dritten Stock. Äußerlich ruhig tat er so, als interessiere er sich für Herrenanzüge, für Mäntel und Hüte. Aus dem Augenwinkel beobachtete er seine Verfolger. Er wollte sie unaufmerksam machen. Er fuhr in den vierten Stock, dann in den ersten. Im Café aß er ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte und trank einen Kaffee. Er bekam ihm nicht, er war viel stärker als der amerikanische. Werdin bekämpfte die Übelkeit mit einem Cognac. Dann fuhr er in den fünften Stock. Er erkannte die Verwirrung seiner Verfolger. Was mochten sie denken? Dass er hier verabredet war mit einem Verbindungsmann? Im fünften Stock kaufte er ein Spielzeugauto, einen roten Volkswagen. Man konnte die Türen öffnen, und die Lenkung arbeitete auch. Im dritten Stock suchte er sich eine Einkaufstasche aus und steckte das Spielzeugauto hinein. Seine Verfolger kamen dichter, sie wurden nachlässig. Er wusste nun, wie er sie loswerden würde. Alles, was er brauchte, war ein bisschen Glück. Die Überraschung war seine Verbündete.
Seine Verfolger waren zäh, aber ihre Aufmerksamkeit musste in den letzten Stunden gelitten haben. Es macht müde, eine Person stundenlang zu verfolgen, ohne von ihr gesehen werden zu dürfen. Noch bestimmte er, was passierte.
Er fuhr in die zweite Etage. Dort gab es Haushaltswaren. Ausgiebig betrachtete er Töpfe und Teller. In einer Ecke entdeckte er eine Tür mit der Aufschrift Nur Personal. Er bummelte einige Minuten durch die Auslagen und
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