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Der 21. Juli

Der 21. Juli

Titel: Der 21. Juli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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    Zacher nahm die weiße Porzellantasse, trank einen kleinen Schluck, setzte die Tasse nicht ab, sondern blickte sie an, als wäre sie der Stein der Weisen. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er. »Ich wäre froh, ich wüsste es. Andererseits .« Er schaute Irma an und lächelte, während seine Augen ernst blieben. »Andererseits ist es mir fast egal, wohin, ob nach Russland, ob nach Italien oder an die Heimatfront. Da wäre es am wichtigsten. Es ist ja inzwischen an vielen Fronten ruhiger als in Berlin, wo es Tag und Nacht Bomben regnet. Vielleicht geht’s auch nach Frankreich, man hört so einiges über die Invasion. Noch dieses Jahr soll sie kommen. Die Amis wollen die Russen nicht alleine siegen lassen. Über einen Mangel an Fronten und Feinden können wir nicht klagen.«
    Das klang nun gar nicht mehr so siegessicher. Irma hätte gerne gewusst, was der Flieger wirklich dachte. Aber wahrscheinlich wusste das nicht einmal Zacher selbst. Vielleicht hoffte er wie viele Deutsche auf ein Wunder und glaubte doch nicht daran. Wir dürfen nicht verlieren, an diese dünne Beschwörung klammerten sich viele Männer und Frauen. Mein Gott, was würde geschehen, wenn Amerikaner, Engländer und Russen, vor allem die Russen, gewinnen würden? Was würde dann aus Deutschland, was würde aus den Deutschen? Ihr Bruder hatte von Morden der SS hinter der Ostfront berichtet, von Massengräbern und verbrannten Dörfern. Seitdem hatte Irma noch mehr Angst vor den Russen. Wenn sie siegten, würden sie Deutschland niederbrennen. Und in Amerika, gaben dort nicht die Juden den Ton an?
    Eines Tages, es war etwa ein Jahr vor den herrlichen Olympischen Spielen in Berlin, musste Irma zu einem anderen Kinderarzt. Die Mutter brachte sie nicht mehr zu Dr. Isobald Mühsam in der Rosslauer Straße in Biesdorf, sondern zu einem Dr. Erbprinz in Kaulsdorf, einem hageren Herrn, in dessen Wartezimmer ein großes Porträt des Führers hing. Dr. Mühsam war ein herzlicher älterer Herr, den Irma sich gerne als dritten Großvater vorstellte. Er konnte so gut die Spritze setzen, dass es nur ein bisschen piekste. Dabei erzählte er wundersame Geschichten über Pflanzen und Tiere, so dass Irma die Spritze kaum beachtete. Irma war ein gesundes Kind, und selbst ihre ängstliche Mutter brachte sie selten zu Dr. Mühsam. Trotzdem erinnerte er sich genau an alles, worüber sie beim letzten Besuch gesprochen hatten. Er strich ihr leicht über die Wange, sagte freundlich: »Ach, das Irmchen«, da waren die Schmerzen fast schon vergessen.
    »Warum gehen wir zu einem anderen Arzt?«, fragte Irma trotzig ihre Mutter.
    »Wir dürfen nicht mehr zu Dr. Mühsam, das verbietet das Gesetz«, erwiderte die Mutter.
    »Das ist ein schlechtes Gesetz«, sagte Irma.
    »Nein«, widersprach die Mutter, »die Leute, die das Gesetz gemacht haben, kennen Dr. Mühsam nicht. Sonst hätten sie bestimmt, dass das Gesetz für ihn nicht gilt.«
    Irma hatte nicht bemerkt, dass Zacher sie fragend musterte. Verwirrt erwachte sie aus ihrer Erinnerung. Sie hatte diese Episode längst verdrängt geglaubt, warum kam sie zurück?
    »An was haben Sie gedacht?«, fragte Zacher.
    Irma schüttelte den Kopf. »Ach, nur eine Kindheitserinnerung. Es ist nicht wichtig.« Sie blickte auf die Armbanduhr. »Wir müssen los, der Zug kommt gleich.«
    ***
    Werdin hatte schlecht geschlafen. Diesmal raubten ihm nicht Bomben die Ruhe, schwere dunkle Sturmwolken behinderten die englischen Bomberverbände stärker als die Luftabwehr. Werdin wälzte sich hin und her, auch ein gut dreifacher Korn hatte seine Nerven nicht besänftigt. Er beneidete Kameraden, die sich zu jeder Tages-und Nachtzeit in den Schlaf verabschieden konnten. Bei ihm wetteiferten zu oft Ängste und Sorgen mit den Bomberpiloten, wer der bessere Störenfried sei.
    Wie würde Panzermajor Gustav Rettheim reagieren? Gut, Werdin hatte genug Belastendes in der Hand, um den Mann ins Unglück zu stürzen. Aber Werdin wusste, der Offizier hatte Recht, der Krieg war verloren, die Lage an der Ostfront hoffnungslos. Da konnte der Klumpfuß übers Radio und im Völkischen Beobachter herumschreien, so viel er wollte. Wenn die Amerikaner und Briten in diesem Sommer in Frankreich landeten, sollte dem letzten Führergläubigen klar sein, dass der braune Traum vorbei war. Es war alles umsonst, die Toten, die Verstümmelten, die zerstörten Städte, die zerbombten Fabriken.
    Werdin fühlte sich mies, Magen und Darm waren unruhig, und doch musste er Rettheim

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