Der 21. Juli
Um Champagner zu befördern?«
Der Hauptmann starrte Irma einen Moment an. Sein Mund öffnete sich und schloss sich dann wieder. Dann sagte er: »Sie haben Glück, dass wir allein sind.«
Irma zuckte zusammen. Konnte ihr Wutausbruch als Wehrkraftzersetzung missverstanden werden?
Der Hauptmann lehnte sich zurück und sagte leise: »Aber Sie haben natürlich Recht. Wir Flieger müssen jetzt ausbaden, was unser Oberbefehlshaber uns mit seinen großen Tönen eingebrockt hat.« Er lächelte leicht: »Er wollte sich ja Meier nennen lassen, wenn ein feindlicher Bomber über dem Reichsgebiet auftauche. Er heißt aber immer noch Göring. Sehen Sie, nun habe ich auch etwas verbrochen.«
Irma war verblüfft, widerstandslos war der Hochmut in den Augen des Fliegers verschwunden.
»Um Ihre Frage zu beantworten: Natürlich habe ich ein Flugzeug, eine Focke-Wulf 190. Es ist eine ausgezeichnete Jagdmaschine, aber die anderen bauen inzwischen welche, die nicht schlechter sind. Vor allem bauen sie viel mehr als wir. Und sie haben mehr Piloten, viel mehr Piloten.«
Irmas Augen entdeckten ein Gehöft. Ochsen wurden vor einen Wagen gespannt, auf dem Milchkannen silbrig glänzten. Ein Kind tanzte um die Ochsen herum, vielleicht freute es sich, mitfahren zu dürfen.
»Und warum schießt die Luftwaffe die Bomber nicht ab?«, fragte sie.
»Einige holen wir schon runter«, antwortete der Hauptmann.
»Aber die Amis bauen für jeden abgeschossenen Bomber vier neue. Es ist ein ungleicher Wettlauf.«
»Den wir also verlieren«, sagte Irma.
»Nein«, widersprach der Hauptmann energisch. Er beugte sich etwas vor und sprach mit leiser Stimme. »Wir haben bald neue Jäger, fast so schnell wie der Schall. Die werden den Himmel leer fegen. Und das ist längst nicht alles.«
Die Lokomotive pfiff, der kurze Vorortzug rollte in Pasewalk ein.
»Fahren Sie weiter nach Berlin?«, fragte der Fliegerhauptmann. Dann stand er auf: »Verzeihen Sie, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, unser Gespräch war zu anregend. Helmut von Zacher.«
Irma sah, wie Zacher seine in langen Reiterstiefeln steckenden Fersen zusammenführte und den Rücken straffte. Sie musste lächeln. Sie stellte sich vor. »Ja, ich fahre auch nach Berlin«, sagte sie.
Sie hatten fast eine Stunde Aufenthalt, wenn der Zug nach Berlin pünktlich war. Zacher lud Irma zu einem Kaffee in einer kleinen Gaststätte beim Bahnhof ein. Irma fand keinen Grund, seine Einladung auszuschlagen.
Der Ersatzkaffee schmeckte so leer wie überall sonst. Irma konnte sich kaum noch erinnern, wie Friedenskaffee duftete. Sie fand, es war der geringste Preis unter den Einschränkungen, die sie auszuhalten hatten. Schlimmer war die Angst um Angehörige und Freunde, der Tod hielt reiche Ernte.
Zacher war ein aufmerksamer Gesprächspartner. Sie saßen an einem Tisch in einer Ecke des fast leeren Gastraums. Zacher erzählte von seiner Jugend. Er hatte in Königsberg Philosophie studiert und strebte nach dem Krieg eine Universitätslaufbahn an. »Dann wird es diese Schreier nicht mehr geben«, sagte er. Er hatte die hundertfünfzigprozentigen SA-Studenten satt, die sich mehr durch prahlerische Bekenntnisse auszeichneten als durch Wissen.
»Waren Sie nicht in der SA?«, fragte Irma.
»Doch, doch«, erwiderte Zacher, »in der Flieger-SA. Wir hatten mit diesen Rüpeln nichts zu tun. Sie verachteten uns als feine Herren.«
Er war ihr sympathisch. Zacher hatte längst nicht mehr den hochmütigen Blick, sie konnte ihn sich als ausgelassenen Jungen vorstellen.
»Wohnen Sie in Berlin?«, fragte er.
Irma nickte. »Ich hoffe, das Haus meiner Eltern ist stehen geblieben. Was treibt Sie nach Berlin?«
»Ich muss ins Reichsluftfahrtministerium.«
»O, bestimmt zu Herrn Meier persönlich«, spottete Irma und staunte, dass sie unwillkürlich einen fast familiären Ton gefunden hatte.
Zacher lachte. »Nein, so wichtig bin ich nicht, jedenfalls nicht dem Reichsmarschall. Trotzdem darf ich es Ihnen nicht sagen. Es ist eine elende Geheimniskrämerei.«
»Bestimmt befehlen Ihnen Ihre Generale, wie Sie den Himmel leer fegen.«
»Bestimmt«, grinste Zacher, »ganz bestimmt.«
»Und danach, wenn Sie im Ministerium waren, wohin geht es dann?«, fragte Irma und erschrak gleich, weil sie fürchtete, Zacher könnte sie aufdringlich finden oder die Frage als verkappte Einladung zu einem Rendezvous in Berlin verstehen. Irma war sich nicht sicher, ob sie sich mit aller Kraft dagegen wehren würde, Zacher wieder zu
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