Der 21. Juli
Truppen nach Berlin schicken, um den Tod ihres geliebten Führers zu rächen. Die Wehrmacht steht nicht hinter Ihnen, schon gar nicht die Ostfront. Für die sind Sie Verräter wie die Matrosen in Kiel 1918.«
»Ja, ja, wir fallen der kämpfenden Heimat in den Rücken, Dolchstoß«, sagte Stauffenberg entnervt. »Wir brechen unseren heiligen Eid, den wir auf einen Mörder und Betrüger geschworen haben.«
»Wenn Sie Himmler am Leben lassen und ihm in Aussicht stellen, dass er Staatsstreich und Frieden in einer hohen Funktion überlebt, dann wird die SS Sie unterstützen. Das ist der Unterschied.«
Stauffenberg schaute zum Himmel. Ein Sommerregen kündigte sich an, Erfrischung für die hitzegeplagte Stadt. »Die
Russen stehen vor Lemberg, die Amerikaner nehmen St. Lö ein, in Italien haben wir Arezzo verloren. Es geht unaufhaltsam zurück. Und Goebbels bringt Historienschinken über Festungsbaumeister in die Kinos. Die Affäre Roedern, haben Sie den Film gesehen?«
»Nein«, sagte Werdin. Er wunderte sich, welchen Verlauf das Gespräch nahm. »Aber ich habe in der Zeitung darüber gelesen. Es geht offenbar um den Festungsbaumeister Friedrichs des Großen.«
»So werden die Deutschen auf die große Belagerung eingestimmt.«
»Na ja, den totalen Frieden wollen in Ihren Kreisen ja auch nicht alle.«
Stauffenberg schnaufte. Er war erregt. »Sie meinen Goerdeler, Popitz und andere? Ja, die wollen mit den Amerikanern und Engländern weiter gegen die Russen kämpfen. Wissen Sie, manche werfen Hitler nur vor, dass er den Krieg verliert. Eine Zeit lang habe ich auch so gedacht.«
Ist der Mann so allein, dass er sich einem wildfremden SS-Mann anvertraut? Oder sagt er sich, der hat mich nicht verraten, also bin ich mir seiner sicher. Nein, Stauffenberg ahnt, dass ich alles weiß, was Rettheim weiß, dachte Werdin. Rettheim hatte sich in die Verschwörung hineingearbeitet. Er gehörte längst zum inneren Kreis. Wittert Stauffenberg sogar, dass Rettheim für mich arbeitet?, fragte sich Werdin. Der Mann ist intelligent und schnell im Kopf. Und er ist der Einzige, der die Sache zu Ende bringen kann. Goerdeler beschreibt Papiere und verschickt sie in alle Welt, er träumt vom Sieg über die Russen und ist gegen ein Attentat. Und der soll Reichskanzler werden.
»Und Sie, waren Sie immer gegen den Krieg?«, fragte Stauffenberg und schaute Werdin skeptisch an.
»Ja«, sagte Werdin, »ich war immer gegen den Krieg.« In gewisser Weise war das sogar die Wahrheit.
»Sie sind mir ein komischer SS-Mann.«
Werdin lachte. Dann wurde er ernst: »Herr Oberst, lassen Sie Himmler leben. Nicht aus Liebe, wahrlich nicht, es ist eine Frage des Kalküls. Wenn Sie Frieden wollen, lassen Sie Himmler leben. Sonst haben Sie neben dem Weltkrieg einen Bürgerkrieg. Die meisten Deutschen glauben an den Führer. Wehe dem, der ihn tötet. Wenn Sie dann auch noch die SS gegen sich haben, gute Nacht.«
»Es reicht, wenn Sie es mir einmal erklären. Ich habe schon verstanden, was Sie wollen. So, wie die Deutschen lieben, können sie hassen«, sagte Stauffenberg. »Ich mache mir wenig Illusionen. Und doch muss ich Hitler töten. Aber vielleicht wird danach alles noch schlimmer.«
»Das kann sein, aber man muss es nicht selbst heraufbeschwören«, erwiderte Werdin.
Stauffenberg sah ihm ernst in die Augen. »Sie sind ein komischer SS-Mann, Werdin«, wiederholte er. »Warum machen Sie das? Ich würde keine Reichsmark auf Ihr Leben setzen.«
»Das kann ich Ihnen auch nicht raten, was kriegt man heutzutage schon für eine Reichsmark?«, erwiderte Werdin. »Aber auf Ihr Leben würde ich gar nichts setzen.«
»Ich denke darüber nach, Herr Werdin. Ich werde mich mit ein paar Leuten beratschlagen. Ich habe zweimal auf den Anschlag verzichtet, weil mir Ihr Herr Himmler so gefehlt hat. Und jetzt soll ich beim dritten Mal darauf achten, dass Ihr Reichsheini keinen Kratzer abkriegt. Gebe Gott, dass Sie Recht haben, Sturmbannführer.«
***
»Gibt’s was Neues?«, brüllte Krause in den Telefonhörer. Er nahm eine Meldung entgegen, dann brüllte er weiter: »Ich habe Ihnen zweitausend von diesen Zeichnungen gegeben und achtzig Mann abgestellt. Die haben nichts anderes zu tun, als Zehlendorf und Lichterfelde abzuklappern und jeden zu fragen, ob er diese Fresse schon mal gesehen hat. Jetzt beeilen Sie sich mal!« Er knallte den Telefonhörer auf. Deutsche Wertarbeit, sonst wäre er längst zersprungen. Krause musste lachen. Manchmal ließ er die Sau raus,
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