Der 26. Stock
dass es Nachtisch gab. Mateo nahm
nichts.
»Mateo«, sagte Isabel, während er die restliche Schokolade einpackte. »Ich habe Ihrer Enkelin gerade von der Schule erzählt,
die Teo besucht. Vielleicht könnte sie auch dort hingehen, solange …bis sie wieder gesund wird, und wenn es nur eine Stunde am Tag ist. Meinem Bruder würde es sicher nichts ausmachen, sie hier
abzuholen. Ich kann mit der Direktorin reden, sie ist eine nette Frau.«
Mateo lehnte sich im Stuhl zurück und zog die Decke über die Beine.
»María, trägst du das bitte in die Küche«, sagte er und reichte seiner Enkelin die Schachtel. »Und bring mir ein kleines Stück
Holz aus dem Garten, und mein Taschenmesser.«
Mit Mühe stand das Mädchen auf und ging hinaus. Der Großvater sah ihr hinterher. Als er das Quietschen einer Tür hörte – wahrscheinlich
die Tür zum Garten, dachte Isabel –, sprach er weiter.
»Señorita Isabel, meine Enkelin und ich leben zurzeit von den milden Gaben der Menschen, die zum Beten hierherkommen. Von
meiner Arbeit im Büroturm konnte ich mit Mühe und Not unser Essen bezahlen, und jetzt habe ich nicht mal mehr das. Manchmal
setze ich mich auch in die Kirchenbank und rede mit Jesus und bitte ihn um Vergebung dafür, dass ich die Spenden für uns verwenden
muss, und ich bitte ihn auch, auf meine Kleine achtzugeben. Beten Sie manchmal?« Isabel schüttelte den Kopf, obwohl sie das
in letzter Zeit doch getan hatte. »Sollten Sie aber. Er hat mir ermöglicht, das Wenige zu sparen, was ich habe, und damit
werde ich für meine Enkelin sorgen, bis sie wieder gesund ist. Das wird sie nämlich, ich bin ganz sicher. Sie muss wieder
gesund werden, verstehen Sie? Ich habe nichts anderes auf der Welt, auch kein Geld für diese Schule.«
»Aber die Schule kostet doch gar nichts«, sagte Isabel.
»Und was ist mit der Fahrt dorthin? Und mit der Kleidung? Sie kann ja nicht immer dasselbe Kleid tragen! Das alles kostet
Geld.«
Isabel runzelte die Stirn. Ihre anderen Sorgen waren verflogen. Sie war sicher, dass es eine gute Idee wäre, María in die
Schule zu schicken, und sie musste versuchen, Mateo davon zu überzeugen.
»Wenn es am Geld liegt, ich könnte Ihnen etwas vorstrecken.«
»Nein, Señorita Isabel«, lehnte Mateo ab. »Ich weiß, Sie möchten mir helfen, aber das will ich nicht. Ich will niemandem Geld
schulden.«
»Aber … Bei uns wird immer jemand gebraucht. Ich könnte Ihnen helfen, wieder einen Job zu finden.«
»Nein«, Mateo schüttelte den Kopf, »ich hab’s Ihnen schon gesagt. Wer will schon einen alten Mann wie mich.«
»Das klingt ja, als hätten Sie sich schon damit abgefunden, dass Ihr Leben für immer so weitergeht!«
Einige Sekunden lang starrte er auf das Stück Holz, das seine Enkelin ihm inzwischen gebracht hatte. Dann fing er an, mit
seinem Taschenmesser kleine Stückchen abzuspalten, die auf den Tisch fielen. Das Mädchen hatte sich wieder zum Fenster gedreht
und sah zu, wie sich die Nacht über die kaum beleuchtete Straße senkte.
»Natürlich würde ich mich freuen, wenn meine Kleine mit Ihrem Bruder zur Schule gehen könnte.«
María drehte einen Moment lang den Kopf. Sie war hellhörig geworden.
»Ja, dann?«, fragte Isabel.
»Dazu brauche ich eine Arbeit, Señorita Isabel. Meine Eltern haben mir beigebracht, dass ehrliche Arbeit der einzige Weg ist,
zu Geld zu kommen. Aber erzählen Sie mir etwas über diese Schule.«
Isabel versuchte, die Schule im besten Licht darzustellen, weil ihr klar war, dass Mateo in der gegebenen Situation große
Bedenken haben musste, seine Enkelin aus dem Haus zu lassen. Und während sie erzählte, kuschelte sich María auf ihrem Sessel
zusammen, bis zum Hals in die Decke gehüllt, und schloss erschöpft die Augen.
»Gleich wird sie einschlafen«, flüsterte Mateo, während er den Heizstrahler aussteckte. »Hoffen wir, dass sie heute nichts
Schlechtes träumt«. Er setzte noch ein paarmal das Messer an und überreichte Isabel dann das Ergebnis seiner Arbeit. Sie hob
die Figurhoch und betrachtete sie bewundernd. Ein schöner wendiger Fisch sah sie mit neugierigen Augen an. Obwohl er nicht größer als
ihr kleiner Finger war, hatte Mateo jede einzelne Schuppe herausgearbeitet, ebenso die Schwanz- und Rückenflosse.
»Der ist ja großartig!«, entfuhr es Isabel. Sie drehte sich zu dem Mädchen um und hob entschuldigend die Schultern.
»Keine Sorge, die Kleine schläft jetzt wie ein Stein«,
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