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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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beruhigte Mateo Isabel, und sie lachten beide. »Was die Schule angeht   … sobald es ihr etwas besser geht, denke ich noch mal darüber nach. Versprochen.«
    Isabel nickte und wollte gerade den hölzernen Fisch in ihre Tasche stecken, als sie ein Blinken bemerkte. Sie zog das Handy
     hervor, dessen Ton noch abgestellt war. Schon wieder rief jemand mit unterdrückter Rufnummer an. Ohne sich lange entschuldigen
     zu können, meldete sie sich. Beim Verlassen des Zimmers stolperte sie über einen der Stühle. Mateo säuberte sein Messer und
     kehrte die Holzspäne zusammen, während seine Besucherin aufgeregt in den Hörer sprach. Als sie fünf Minuten später in das
     kleine Wohnzimmer zurückkehrte, zitterte ihre Hand.
    »Ich muss jetzt gehen«, sagte Isabel, den Blick abwesend auf Marías sanftes Gesicht gerichtet.
    »Ist etwas passiert?«, fragte Mateo besorgt.
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht«, antwortete sie, während sie das Handy in die Tasche legte und ihren Mantel nahm. Sie
     trat an den Schaukelstuhl und drückte der Kleinen einen Kuss auf die strohblonden Haare. »Grüßen Sie sie bitte von mir und
     entschuldigen Sie, dass ich so schnell wegmuss.«
    »Keine Sorge. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann   …«, bot Mateo an, als er sie zur Haustür brachte und den Riegel zurückschob.
    »Das war ein Anruf aus dem Krankenhaus. Tut mir leid, ich muss los.«
    Mateo ergriff rasch ihre Hand.
    »Isabel, denken Sie an das, was ich Ihnen gesagt habe.« Er sah ihr in die Augen. »Er wird Ihnen immer sein Ohr leihen.«
    Sie nickte mechanisch und eilte mit einem gezwungenen Lächeln die Straße hinunter, ohne auch nur den Mantel anzuziehen. Mateo
     sah ihr nach und trat wieder ins Haus. Langsam ging er in die Küche und nahm eines der übrig gebliebenen Schokoladentäfelchen.
     Dann kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Die Kälte drang durch das Fenster und setzte sich allmählich gegen die restliche Wärme
     aus dem Heizstrahler durch. Seufzend streichelte er seiner Enkelin über die Stirn.
     
    Der Arzt hatte einen unbekannten Mann in Jeans und mit langen weißen Haaren aus dem Zimmer kommen sehen, der die Treppe hinunter
     verschwunden war. Er setzte eine weiße Mundmaske und eine grüne Chirurgenkappe auf und ging den Korridor entlang, vorbei an
     dem Tresen, an dem die Stationsschwester in ein Kreuzworträtsel vertieft war, und blieb schließlich vor der Tür stehen, aus
     der der Unbekannte gekommen war. Im Wartesaal las ein Mann Zeitung. Bestimmt, dachte der Arzt, war das ein Angehöriger, der
     über Nacht bleiben wollte. Er betrat das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.
    Im Raum herrschte Stille. Hinten am Fenster schlief eine alte Frau in ihrem Bett. Er wusste weder, wie sie hieß, noch, warum
     sie eingeliefert worden war. Das interessierte ihn auch nicht. Sein Patient war der andere, der junge Mann, der hier ebenfalls
     in einem tiefen Schlaf lag, aus dem er angeblich bald erwachen sollte. Der Arzt streifte seine weißen Gummihandschuhe über.
     Er genoss dieses Ritual. Dann trat er ans Bett und beugte sich darüber, um sich den Mann genauer anzusehen. Die markanten
     Züge des Patienten waren entspannt, und seine Brust hob und senkte sich im Rhythmus des Beatmungsgeräts. Der Arzt kramte in
     den weiten Taschen seines weißen Kittels und fand das Klebeband, das er gesucht hatte. Er hielt einen Augenblick inne und
     lauschte. Draußen auf dem Gang war es still. Er atmete tief ein. So erfahren er auch war, ganz entspannen konnte er sich bei
     der Behandlung nie. Er nahm das Klebeband aus der Tasche und trennte fein säuberlich einen Streifen ab.
    »Du wirst sehen, Carlos, bald geht es dir wieder gut.«
    Niemand hörte seine von der Maske verzerrten Worte. Er war allein im Raum, neben zwei Menschen, die sich in den Tiefen ihres
     Geistes verloren hatten. Er lächelte und zog so sanft und zärtlich wie ein Vater, der sein Kind pflegte, die Röhrchen, die
     den Patienten mit dem Atemgerät verbanden, aus der Nase.
    »Das brauchst du jetzt nicht mehr.«
    Er legte die Röhrchen beiseite, straffte das Klebeband und drückte es auf den Mund des jungen Mannes Er ging um das Bett herum
     und besah sich sein Werk. Dann kniete er nieder, so dass sein Kopf das Kissen berührte, und begann zu murmeln, während Daumen
     und Zeigefinger sich um die Nase des jungen Mannes schlossen.
     
    »Et tibi dabo claves in regni caelorum et quodcumque ligaveris super terram erit legatum in caelis et quodcumque solveris
    

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