Der 26. Stock
nicht viele leisten.
Márquez ging auf den Portier zu und zückte seine Dienstmarke; der Portier warf einen misstrauischen Blick darauf. Nach einem
kurzen Wortwechsel und ein paar vergeblichen Versuchen, de Andrés herauszuklingeln, ließ sich der Mann dazu überreden, mit
ihm nach oben zu gehen. Sie durchschritten das mit Gemälden und Marmorstatuen dekorierte Foyer. Márquez fragte sich, ob er
mit seinem Gehalt auch nur die Nebenkosten hätte bezahlen können. Der Portier ging am Aufzug vorbei und auf die Treppe zu.
Fünf Stockwerke. Bestimmt sollte das die Rache dafür sein, dass der Polizist ihn von seinem Posten abgezogen hatte.
»Señor de Andrés ist ein echter Gentleman. Es hat noch nie Beschwerden von Nachbarn gegeben.«
»Schon klar«, versicherte Márquez. Er war heilfroh, das Rauchen aufgegeben zu haben. Früher hätte er nach fünf Stockwerken
wie ein junger Hund gejapst. »Aber er hat sich nun mal seit drei Tagen nicht auf dem Revier blicken lassen, und da machen
wir uns Sorgen. Ans Telefon geht er auch nicht.«
»Verstehe.«
Der Flur auf der fünften Etage wurde von zwei kunstvoll gearbeiteten Kronleuchtern erhellt und war mit einem dicken roten
Teppich ausgelegt. Márquez hatte das Gefühl zu schweben. Vor einer breiten Holztür blieb der Mann stehen und drückte auf den
Klingelknopf. Keine Antwort. Er verzog das Gesicht und schnüffelte.
»Hier riecht es doch komisch, oder?«, sagte er. Er drehte sich zu Márquez um. Der trat näher und hielt die Nase an die Tür.
Ein strenger Geruch lag in der Luft, den er nicht näher bestimmen konnte.
»Ich glaube, Sie sperren besser auf.«
Der Portier zögerte.
»Schauen Sie, wenn Ramiro etwas passiert ist und er liegt jetzt da drin und ich kann ihm nicht rechtzeitig helfen, dann sind
Sie dafür verantwortlich.«
Der Portier zog einen kleinen Schlüsselbund aus der Tasche, an dem ein Generalschlüssel hing, und sperrte die Tür auf. SeineHände zitterten. Keine Sekunde später erbrach er sich auf den Teppich.
Márquez konnte sich gerade noch den Ärmel seiner Sportjacke vor die Nase halten. Die grünliche Gaswolke, die ihm entgegenschlug,
brannte und trieb ihm die Tränen in die Augen. Er hielt die Luft an und rannte in die Wohnung. Im Wohnzimmer öffnete er das
Fenster. Noch nie war er so froh gewesen, die schmutzige, verseuchte Luft der Stadt atmen zu dürfen. Sein Magen krampfte sich
immer wieder zusammen. Gleich würde er sich ebenfalls übergeben. Schließlich ließen die Krämpfe nach, und Márquez konnte vom
Fenster zurücktreten.
Der grünliche Nebel zog langsam ab. Was er sah, erinnerte ihn an einen Kriegsfilm. Es herrschte das reinste Chaos. Regale,
ein Tisch, Stühle, ein riesiger implodierter Fernsehbildschirm waren an die Wände geschoben. Und auf dem Boden lagen allerlei
Röhrchen herum, Dutzende von kleinen Zylindern. Márquez bückte sich und nahm den nächstbesten der kleinen Behälter, um die
Aufschrift lesen zu können: Insektenvernichtungsmittel. Er ging ins Schlafzimmer, in dem das Bett und die übrigen Möbelstücke
ebenso beiseitegeräumt worden waren. Das nächste Zimmer war abgesperrt. Márquez blieb stehen. Von drinnen kam kein Laut. Mit
einem kräftigen Tritt öffnete er die Tür. Augenblicklich überriss Márquez die groteske Szene, die er vor sich hatte, und er
verständigte seine Kollegen vom Bezirk Innenstadt. Der Portier stützte sich an den Türrahmen und schnappte gierig nach Luft.
»Am besten, Sie sagen den Nachbarn auf dem Stockwerk Bescheid, dass sie vorerst in ihren Wohnungen bleiben sollten.«
»Hier auf der Etage wohnt sonst niemand. Aber was … Wo ist Señor de Andrés?«, stotterte der Mann.
»Er ist tot, und glauben Sie mir, genauer wollen Sie das gar nicht wissen. Haben Sie eine Zigarette?«
Der Portier verneinte mit einer Handbewegung. Inspektor Márquez fluchte in sich hinein. Er musste diesen süßlichen Gestank
aus der Nase bekommen, und die Zigarette aus seiner Tasche wollte er nicht anrühren. Nicht die.
Eine halbe Stunde später bekam Márquez von dem übergewichtigen Gerichtsmediziner aus dem Polizeirevier Innenstadt eine Zigarette
angeboten, aber er lehnte ab. Bloß weil ein Typ tot auf seinem Klo saß, würde er nicht drei anstrengende Monate opfern. Der
Gerichtsmediziner war begeistert.
»Wie finden Sie das? Zwanzig Jahre Leichen aufsammeln, aber so etwas sehe ich zum ersten Mal. Was hat sich der Bursche nur
dabei gedacht? Sprüht sich
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