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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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sehen Sie«, setzte Márquez zum ersten Bluff an, »ich ermittle zurzeit wegen eines Überfalls mit Körperverletzung. Ein
     Angestellter aus dem Turm wurde verprügelt. Er hat seine Stelle erst vor ein paar Monaten angetreten, und Sie kennen sich
     ja nun schon länger mit dem Unternehmen aus, und da habe ich mir gedacht, Sie könnten mir vielleicht behilflich sein.«
    »Ach so   …« Estellas Gesichtszüge entspannten sich, und aus seinem Nacken wich die Spannung. »Ich fürchte, Sie sind da falsch informiert.
     Aber keine Sorge, das passiert nicht zum ersten Mal.«
    Márquez hob die Brauen.
    »Was bedeutet das?«
    »Sie suchen vermutlich meinen Vater«, erklärte der junge Mann. Ihm schien ein Stein vom Herzen gefallen zu sein. »Mein Vater
     hieß ebenfalls Pablo, wie ich.«
    »Hieß?«
    »Ja.« Inspektor Estellas Gesichtszüge spannten sich wieder an, aber das war nichts im Vergleich zu der Unruhe, die Márquez
     ihm Sekunden vorher angesehen hatte. »Er ist leider vor zwei Wochen verstorben. Er war einer der besten Inspektoren von ganz
     Madrid. Ich hoffe, dass ich mich seiner würdig erweisen werde.«
    »Gewiss werden Sie das. Glauben Sie mir, ich habe noch nie ein derart ordentliches Büro gesehen«, versicherte Márquez. Er
     ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Sein Gegenüber nickte zufrieden. »Darf ich fragen, wie das passiert ist? Und wenn
     ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann   …«
    »Nein, machen Sie sich keine Gedanken. Ihm hat niemand etwas Böses getan. Es war ein Unfall. Er ist beim Gardinenaufhängen
     aus dem Fenster gestürzt. Meiner Mutter geht es sehr schlecht, sie gibt sich die Schuld daran.«
    »Hm   … Und jetzt sind Sie für das Businessviertel zuständig, ja?«
    »So ist es«, erwiderte der junge Mann. Er stand auf und nahm einen Stapel Unterlagen aus einer Schublade. »Und das bedeutet
     einen Haufen Arbeit. Wenn das also alles war   …«
    Márquez beschloss, eine weitere Frage zu riskieren, obwohl er schon ahnte, dass sie zu nichts führen würde.
    »Wissen Sie vielleicht, ob Ihr Vater   …?«
    »Nein, ich weiß gar nichts über seine beruflichen Obliegenheiten«, sagte der junge Mann hastig. Márquez hatte mit dieser Reaktion
     gerechnet. »Tut mir leid, wenn ich Ihnen nicht weiterhelfen kann, aber wenn Sie Informationen über die Tätigkeit meines Vaters
     brauchen, müssen Sie sich an Kommissar Hernández wenden. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen möchten, ich habe zu tun.«
    Inspektor Estella ging zur Tür, öffnete sie und blieb dort stehen. Márquez stand auf. Als er über die Schwelle getreten war,
     drehte er sich rasch um und hielt die Tür fest, die schon fast ins Schloss gefallen war. Inspektor Estella steckte den Kopf
     heraus.
    »Was ist denn noch?«
    »Entschuldigen Sie«, sagte Márquez. »Bestimmt kennen Sie Ramiro de Andrés, er hat lange mit Ihrem Vater zusammengearbeitet.
     Anscheinend ist er krank. Hätten Sie vielleicht seine Adresse?«
    »Nein«, sagte Estella kurz angebunden. »Den Namen kenne ich nicht, und selbst wenn, könnte ich Ihnen nicht sagen, wo er wohnt.
     Sprechen Sie mit dem Kommissar.«
    Estella zog seinen Kopf zurück. Márquez ließ abrupt die Tür los, und sie fiel krachend zu. Er fuhr nur einige hundert Meter
     weit, dann zog Márquez das Handy aus der Tasche. Er hatte nicht bekommen, was er wollte, aber genug erfahren, um eine erste
     Hypothese zu formulieren. Estella hatte ihm mehr mitgeteilt, als es seine Absicht gewesen war. Ohne zu wollen, hatte er erkennen
     lassen, dass auch sein Vater für den Turm zuständig gewesen war, und das war genug. Nun musste Márquez seine Hypothese überprüfen,
     ohne sich Ärger einzuhandeln. Die Sache stank zum Himmel. Er musste aufpassen, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen.
     Er rief Alicia an, die ihm Ramiro de Andrés’ Adresse in der Innenstadt durchgab.
    Márquez bedankte sich und wählte, kaum hatte er das Gespräch beendet, die Nummer des Polizisten. Wie er vermutet hatte, ging
     niemand ans Telefon. Márquez versuchte es noch einmal. Nichts. Sein Verdacht erhärtete sich. Er startete den Wagen wieder
     und reihte sich in den Verkehr ein.
    De Andrés wohnte in einer Gegend voller Designerläden und Schmuckgeschäfte, einem viel zu teuren Viertel für einen Mann mit
     dem Gehalt eines Polizeibeamten. Als Márquez aus dem Wagen stieg, stand er vor einem der Gründerzeithäuser, die in jüngster
     Zeit luxuriös saniert worden waren. So edel zu wohnen, konnten sich

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