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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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finden wir einen Schlüssel. Und er hofft, dass es dir gut geht.
     
    »Aber wer war das denn?«
    Clara zuckte mit den Schultern.
     
    Er hat mir nicht gesagt, wie er heißt, nur , dass er ein guter Freund von dir und Mama ist.
     
    Cassandra hielt ein Taxi an, und Clara nannte dem Fahrer die Adresse. Den Kopf der kleinen Ana im Schoß, erinnerte sich Cassandra,
     dass Vera erwähnt hatte, ihr sei noch ein letzter Freund im Turm geblieben. Der musste ihr auch dabei geholfen haben, sie
     aus der Klinik herauszuholen.
    Nachdem sie fast eine halbe Stunde lang Richtung Süden gefahren waren, erreichten sie einen der Vororte, die die Madrilenen
     der Mittelschicht nach Möglichkeit mieden. Das Taxi hielt vor einem heruntergekommenen Haus. Sie stiegen aus und auch hier
     stand, wie bei Isabel, die Haustür offen. Cassandra sah, dass jemand einen kleinen Holzkeil vor die schwere Tür geschoben
     hatte, damit sie nicht zufallen konnte. War das ihretwegen geschehen? Die Wände und sogar die hohen Decken waren mit bizarren
     Graffiti übersät, mit geheimnisvollen Namenskürzeln in allen möglichen Farben.
    Der Aufzug war außer Betrieb, und so gingen sie zu Fuß in den dritten Stock. Auch die Wohnungstüren waren von den Kritzeleien
     nicht verschont geblieben. Clara zeigte auf eine Lampe an der Wand über dem Aufzug. Die Glühbirne war durchgebrannt. Sie streckte
     die Hand aus, kam aber nicht heran. Cassandra griff hinein und holte einen kleinen goldenen Schlüssel heraus. Mehr hatte der
     Mann nicht gesagt, es gab jedoch auf dem Stockwerk vier Türen.
    Sie warf den Mädchen einen fragenden Blick zu. Ana zeigte auf eine der Türen, und obwohl Cassandra nicht sicher war, dass
     die Kleine wusste, worum es ging, entschloss sie sich, auf sie zu hören. Tatsächlich – der Schlüssel passte. Bevor sie ihn
     aber im Schloss umdrehen konnte, ging die Tür einige Zentimeter weit auf, und im Halbschatten erschien die rechte Hälfte eines
     von Falten zerfurchten Gesichts. Das Herz schlug Cassandra bis zum Hals. Mit dem einen Auge musterte ihr Gegenüber sie von
     oben bis unten und starrte dann an ihr vorbei auf einen Punkt über ihrem Kopf.
    »Tut mir leid, ich muss mich in der Tür getäuscht haben. Ich bin erst vor kurzem hier eingezogen und   …«, stammelte Cassandra. Das Auge starrte weiter auf denselben Punkt. Neugierig drehte sich Cassandra um und folgte seinem
     Blick. Ein schmaler roter Strich lief den Türsturz der gegenüberliegenden Wohnung entlang. Das war ihr zuvor nicht aufgefallen.
     In diesem Moment fiel die Tür ins Schloss. Der goldene Schlüssel steckte noch. Mitzittrigen Fingern fummelte sie ihn heraus und versuchte ihr Glück an der Tür gegenüber. Sie spürte, wie der Riegel sich bewegte.
     Die Mädchen standen neben ihr und lächelten. Bevor Cassandra die dunkle Wohnung betrat, warf sie einen letzten Blick auf die
     rote Markierung. Schafsblut. So hatten doch die Juden ihre Türen angestrichen, um zu verhindern, dass die letzte göttliche
     Plage über sie käme. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab, und sie dachte beschwörend, wenn es wirklich einen Gott gab, möge
     er die beiden Mädchen beschützen, die in diesem Moment Hand in Hand mit ihr über die Schwelle traten.

32
    Er sah über die Schulter zurück und rannte dabei weiter. Es war ihm gelungen zu entkommen, aber er spürte, dass
es
– was auch immer es sein mochte – ihm immer noch auf den Fersen war. Es war groß und wulstig, und es war mit einem Affenzahn
     auf ihn zugekrochen gekommen. Er hatte nicht sehen können, ob es ein Maul hatte, aber er wusste, dass das keine Rolle spielte.
     Wenn es ihn erwischte, würde es ihn so oder so zermalmen.
    Ihm wurde speiübel. Die Flucht dauerte schon so lange. Er hatte einen mörderischen Druck auf den Lungen, bald würden sie ihm
     den Dienst verweigern. Aber er schrie nicht mehr. Das hatte er in den letzten zwei Tagen ständig getan, seit der Aufzug auf
     dem Weg vom obersten Stockwerk nach unten plötzlich stehen geblieben war. Er hatte die Knöpfe gedrückt und mehrmals seine
     I D-Card durch den Schlitz gezogen, aber es war nichts passiert. Dann waren die Türen aufgegangen, und ihn hatte der unwiderstehliche
     Drang überkommen, auszusteigen, fast als würde ihn jemand rufen. Doch als er draußen war, konnte er die Aufzugtür nicht mehr
     finden. Da war nur noch eine Wand. In diesem Augenblick dröhnte ihm ein rülpsendes Geräusch in den Ohren.
    Er sah sich um, und da erblickte er rechts von

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