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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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den Blick, als ließe sie sich verschiedene Optionen durch den Kopf gehen. Dann sah sie ihren
     Kollegen ein weiteres Mal an und ging zurück an ihren Platz.
    »Wie du meinst. Ich gebe dir Bescheid, sobald ich die Infos habe.«
    Márquez sah ihr nach. Diesen Blick hatte er bei Alicia nur ganz selten gesehen. »Sei vorsichtig«, bedeutete er, »sei ja vorsichtig.«
     Sie hatte recht. Drei angebliche Selbstmorde und eine ganze Reihe sonstiger Toter, das ergab eine Menge Blut – so viel, dass
     ein Ermittler leicht darin ertrinken konnte. Es wurde Zeit, gut aufzupassen. Er wählte eine Nummer und wartete, aber das Handy
     war ausgeschaltet. Nächste Nummer, und diesmal kam die Verbindung zustande, aber niemand nahm den Anruf entgegen. Er hatte
     es schon in der Nacht versucht, auch da vergeblich. Márquez stand auf, nahm seine Jacke und verließ das Gebäude.Er hatte so eine Ahnung, dass hier für jemanden die Zeit ablief. Auf seinem Monitor war noch eine Minute lang Isabels Bild
     zu sehen, daneben ihre persönlichen Daten. Öffentliche Schule und Universität, die Eltern tot, der Bruder als vermisst gemeldet.
     Wer das las, musste Isabel für einen sehr einsamen Menschen halten, eine typische Kandidatin für eine Stelle im Turm. Márquez
     ging zu einer der Telefonzellen gegenüber vom Revier, warf eine Münze ein und wartete.
    »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?« Der Stimme nach handelte es sich um einen jungen Mann.
    »Guten Tag, hier spricht Alejandro López von der Firma López Stahl. Ich würde gern mit Isabel Alvarado aus dem zwölften Stockwerk
     sprechen. Wir haben einen Termin, und ich bin ein bisschen spät dran.«
    »Einen Moment, bitte.«
    Márquez hörte, wie am anderen Ende der Leitung eine Tastatur klapperte.
    »Señor López, Señorita Alvarado ist noch nicht da. Aber sie arbeitet auch gar nicht mehr im 12.   Stockwerk, seit gestern ist sie auf Etage   …«
    26.   Mehr brauchte er nicht. Márquez legte auf. Er überquerte die Straße und stieg in seinen Wagen. Während er den Motor anließ,
     fragte er sich, ob auf Isabels Personalblatt wohl eine Holzfällermarkierung angebracht worden war.
    Er raste los. Die Zeit drängte. Allmählich entstand in seinem Kopf ein klareres Bild. Die Personalunterlagen, die Isabel ihm
     gezeigt hatte, waren überaus aufschlussreich. Mehrere Personen waren erst befördert worden und dann zu Tode gekommen; die
     beiden Ermittler und der zuständige Arzt waren ebenfalls tot, allerdings hatten sie sich, wie es schien, freiwillig dafür
     entschieden. Und dann gab es da noch diesen Carlos, den jungen Mann, der im Krankenhaus lag. Sein Vater war einer der Namen
     auf den Personalblättern, und just Carlos hatte Isabel diese Unterlagen zukommen lassen. Und wenn es sich um eine Fälschung
     handelte? Wenn Carlos nur mit ihr spielte? Das war unwahrscheinlich,nach allem, was ihm selbst zugestoßen war. Márquez wurde den Eindruck nicht los, dass Carlos nicht nur ein bedeutungsloser
     Bauer in diesem makabren Schachspiel war. Er würde noch weitere Erkundigungen über ihn einholen müssen.
    Gedankenverloren fuhr der Inspektor an seinem Ziel vorbei. Er fluchte leise und bog an der nächsten Kreuzung ab, um den Wagen
     zu parken. Er hatte sonst nichts dagegen, ein paar Schritte mehr gehen zu müssen, aber diesmal war er in Eile. Er nahm ein
     kleines weißes Etui aus dem Kofferraum. Das würde er brauchen. Die Wohngegend hier gefiel ihm gut, ein typischer Mittelschichtvorort,
     der die Nachteile der Innenstadt mit den Problemen der Außenbezirke vereinte.
    Márquez erreichte das Haus und drückte auf irgendeinen der Klingelknöpfe.
    »Ja?«, fragte die Stimme einer alten Frau über die Gegensprechanlage.
    »Post!«
    Ein Summen, und die Tür ging auf. Márquez nahm zwei Treppenstufen auf einmal, froh, von keinem Portier aufgehalten zu werden.
     An Isabels Wohnungstür angekommen, klingelte er. Nichts. Das war kein gutes Zeichen. Er zog das weiße Etui hervor, das er
     aus dem Kofferraum genommen hatte, und klappte es auf: seine alte, sehr wirkungsvolle Sammlung von Dietrichen, ein Geschenk
     seiner Klassenkameraden zum Abschied von der Polizeiakademie. Márquez warf einen Blick ins Treppenhaus, um sicherzugehen,
     dass ihn niemand auf frischer Tat ertappen konnte, und führte die kleine Nadel eines passenden Dietrichs ins Schlüsselloch
     ein. Nach oben, nach links, eine Bewegung im Uhrzeigersinn. Er brauchte etwas länger als erwartet, dann aber hörte er es zweimal
     im

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