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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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Schloss klicken, und die Tür sprang auf. Fast zwei Minuten. Nicht gerade rekordverdächtig. Er betrat die Wohnung.
    Drinnen war es kalt und ziemlich dunkel. Obwohl es schon Nachmittag war, hatte niemand sich die Mühe gemacht, die Rollläden
     hochzuziehen. Márquez tastete in der Diele nach dem Lichtschalter.Dann ging er durch die Wohnung; wie er vermutet hatte, war niemand da.
    Es überraschte ihn, wie klein Isabels Apartment war, nicht viel größer als die Bleibe, in der er selbst seit seiner Scheidung
     hauste. In dem einzigen Schlafzimmer war das Bett ungemacht. Zahlreiche Kinoposter hingen an den Wänden. Das musste das Zimmer
     des verschwundenen Teo sein. Im Wohnzimmer stand ein aufgeklapptes Bettsofa. Auf einem Bord sah Márquez ein kleines elfenbeinfarbenes
     Telefon mit Anrufbeantworter, dessen Display vierzehn Anrufe anzeigte. Acht waren von ihm, sechs von einer Nummer, die er
     nicht kannte. Er notierte sich die Nummer und sah sich noch ein wenig in der Wohnung um. Isabel hatte ihm bei ihrem gemeinsamen
     Essen von Carlos’ Kamera und dem Film erzählt. Márquez hatte gehofft, einen Blick auf diese merkwürdige Aufnahme werfen zu
     können, doch von beidem fand sich keine Spur.
    In der Küche stand eine Schale mit sauer gewordener Milch, die Bestätigung für das, was er schon aufgrund der Anruferliste
     vermutet hatte. Isabel war in der Nacht zuvor nicht zu Hause gewesen, und in der Firma war sie auch nicht. Teo war verschwunden,
     und Isabel wollte ihn finden. Wenn sie nun ebenfalls verschwunden war, wer würde dann die beiden suchen?
    Márquez ahnte die Antwort, und sehr wahrscheinlich saß im Hochhaus jemand, der sie sogar sicher wusste. Sie lautete:
niemand
. Es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Die Frage, wer ihn selbst in einem solchen Fall suchen würde, stellte er sich wohl
     besser nicht. Seine Tochter war noch zu klein, und was seine Exfrau betraf   … In der Brusttasche des Inspektors klingelte das Handy. Alicia. Márquez hob ab.
    »Ich höre.«
    »Ich hab mir gedacht, ich rufe dich zur Sicherheit vom Handy aus an.« Ihre Stimme klang hart, wenn auch ruhig. »Also, ich
     weiß jetzt, wie viele Mitarbeiter aus dem Turm im letzten Jahr gestorben sind.«
    Márquez hielt den Atem an. Diese Auskunft musste den Ausschlaggeben. Mit einer übermäßig hohen Todesrate konnte er zu Kommissar Hernández gehen und ihn zwingen, Ermittlungen einzuleiten.
    »29.«
    »Das«, nickte Márquez zufrieden, »sind ein paar Tote zu viel. Ich rede sofort mit dem Chef.«
    »Nicht so schnell, Ángel«, unterbrach ihn Alicia. »Wenn du bedenkst, wie viele Menschen im Turm arbeiten, ist die Zahl gar
     nicht so hoch. Und leider wurde die Mehrzahl dieser Fälle nicht von deinen drei Selbstmörderfreunden bearbeitet.«
    Márquez wusste nicht, was er sagen sollte. Ein Stapel Personalunterlagen mit roten Markierungen hatte kaum einen Wert. Damit
     ein Richter sich bereitfand, Ermittlungen gegen den Konzern zu unterstützen, müsste er schon etwas Gravierendes vorweisen,
     mehr, als er bisher hatte. De facto konnte er nicht einmal die Personalblätter vorlegen, bevor er Isabel nicht fand. Márquez
     seufzte und gab Alicia die Nummer durch, die er im Speicher von Isabels Telefon gefunden hatte. Wenige Sekunden später informierte
     ihn seine Kollegin, der Anschluss gehöre einem gewissen Zacarías, der zusammen mit seiner Frau eine Bar führte. Márquez erinnerte
     sich: Das war der Kerl, den er zusammen mit Isabel im Krankenhaus befragt hatte.
    Als er auflegte, wusste er schon, was er zu tun hatte. Er musste Isabel finden, und ihm fiel nur noch ein Ort ein, wo sie
     sein konnte, falls sie nicht jemand hatte verschwinden lassen. Wenigstens war er nicht der Einzige, der sie suchte. Vielleicht
     wusste dieser Zac etwas. Márquez ging langsam die Treppe hinunter.
    Zu wenige Todesfälle. Es passte ihm nicht, seine Hypothese begraben zu müssen. Vielleicht waren ja noch mehr Menschen im Turm
     irgendwie in Schwierigkeiten. Menschen wie er oder Isabel, Einzelgänger, Männer und Frauen, die niemanden hatten, der nach
     ihnen fragte. Aber wie sollte er das herausfinden? Als Polizist wusste er, dass es unmöglich war zu überprüfen, ob alle Angestellten
     im Turm wohlauf waren. Jedenfalls für ihn.
    Ein Stockwerk tiefer begegnete er einer Frau mit zwei kleinenMädchen. Sie schien gerade in ihrer Tasche nach dem Wohnungsschlüssel zu kramen. Inspektor Márquez grüßte. Die beiden Mädchen
     drehten sich um, sagten aber keinen

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