Der 26. Stock
»Eines Tages finde ich auch so eine«, hatte er dann immer hinzugefügt.
Nach dem Tod der Eltern war Carlos ein anderer Mensch geworden. Er stand damals am Rande des Abgrunds. Doch bald darauf erzählte
er Zac, er habe eine neue Stelle. Die Konzernleitung im Turm wollte einen guten Juristen; er wollte eine Chance, Nachforschungen
zum Tod seines Vaters anzustellen. Zac begriff, dass all diese Nachforschungen, bei denen Carlos immer mehr Unterlagen und
Fotos anhäufte, nichts als ein unbewusster Versuchwaren, den Vater zurückzuholen. Die ersten Ergebnisse waren ermutigend, und Carlos fand einige Punkte, die seine Hypothese
zu stützen schienen. Der Grundgedanke war simpel, und er hatte noch keine umfassende Erklärung, aber wenn er richtiglag, würde
das gravierende Konsequenzen haben: Der Tod seines Vaters war die Folge einer Verschwörung. Er hatte sich gar nicht umgebracht.
Zac mochte das nicht glauben. Er bat Carlos, die Sache zu vergessen. Ja, sein Vater mochte ein sehr vitaler Mann gewesen sein,
aber eine Pechsträhne konnte jeden verändern. Carlos erwiderte, dass er das nicht akzeptieren könne. Er müsse weiter nachforschen,
und er werde herausfinden, was wirklich passiert war. Das alles hatte sich ereignet, bevor er die junge Frau im Tankstellenshop
kennengelernt hatte. Oder genau genommen, bis er ihr dort wiederbegegnet war.
Zac parkte den Kleinbus in der Nähe des Krankenhauses und schlenderte zum Eingang. Er wollte die frische Luft im Gesicht spüren
und ganz bewusst das wundervolle Gefühl genießen zu leben. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. Als er Carlos’ Zimmer erreichte,
zeigte er dem wachhabenden Polizisten seinen Ausweis und trat ein. Sein Freund lag nach wie vor im Koma, und das war Zac in
diesem Moment sogar recht, denn sonst hätte er ihn wahrscheinlich in den Turm begleiten wollen. Zac blieb neben dem Bett stehen
und versuchte sich vorzustellen, wie Carlos’ Leben wohl verlaufen wäre, wenn er sich nicht in den Kopf gesetzt hätte, Nachforschungen
zum Tod seines Vaters anzustellen. Er hätte nie den Turm betreten und wäre nie im Krankenhaus gelandet. Aber er hätte auch
Isabel nie kennengelernt. Die Zukunft würde zeigen, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
»Wie läuft’s, alter Freund? Sind die Krankenschwestern nett zu dir?«
Er setzte sich in einen der Sessel. Das andere Bett war immer noch frei. Was war wohl aus der armen alten Frau mit den langen
weißen Haaren geworden? Vielleicht war sie tot, oder man hatte sie in ein anderes Zimmer verlegt, wo sie weiter einsam vor
sichhin dämmerte. Carlos war nicht allein. Er hatte Isabel, und er hatte ihn und Angie.
Er senkte den Kopf, schloss die Augen und versuchte es mit einer Art Gebet. Zac dachte an den Tag, an dem sein Kumpel zu ihm
gekommen war und gesagt hatte, er glaube, die Frau gefunden zu haben, von der er so oft geredet hatte; er dachte an Carlos’
Brief, in dem er ihn bat, sich so schnell wie möglich mit Isabel in Verbindung zu setzen; an die Nacht, in der er fast ums
Leben gekommen wäre … Und an die erste Begegnung mit Inspektor Márquez. Am Anfang hatte er ihn für einen Trottel gehalten, aber dann hatte er
erkannt, dass es sich um einen der seltenen Menschen handelte, für die ihr Beruf eine Berufung war. Ein guter Polizist.
Dass er sich jetzt zurückzog, war verständlich. Er hatte eine Tochter, die er nicht in Gefahr bringen konnte. Für Zac dagegen
ging es um etwas anderes – sein bester Freund lag im Koma. In den Tagen vor der Tat hatten sie kaum miteinander gesprochen.
Carlos war wie vom Erdboden verschluckt gewesen, aber Zac wusste, dass er noch keinen Beweis für seine Theorie haben konnte.
Sonst hätte er Kontakt zu ihm aufgenommen, um ihm davon zu berichten, so wie an dem Tag, an dem er die Sache mit Alberto Hernán
herausgefunden hatte. Damals war der Abteilungsleiter seiner Freundin Isabel verschwunden. Das passte zu Carlos’ Einschätzung
der Lage.
Dann waren da noch die Beförderungen. Eine Unmenge Kollegen, die in die oberen Etagen versetzt worden waren, und zusätzlich
hatte die Personalabteilung ihre Kriterien aufgeweicht, um mehr neue Leute einstellen zu können. Im Turm waren Veränderungen
im Gang. Etwas geschah mit den Angestellten. Wahrscheinlich hatte Carlos zu dem Zeitpunkt auch die Personalblätter entdeckt,
vielleicht sogar schon vorher. Einzelheiten hatte er ihm nicht erzählen wollen, er hatte nur gesagt,
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