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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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und feststellten, dass er tot war, würden sie sie für verrückt halten.
    Es klopfte an der Tür, ein Wachmann trat ein.
    »Wir haben eines der Mädchen gefunden. Vielleicht, wenn Sie kurz mitkommen   …«
    Vera lief schnurstracks hinter dem Wachmann her und überschüttete ihn mit Fragen. Cassandra folgte den beiden.
    »Ihrer Tochter geht es gut«, antwortete der Wachmann, während er eilig weiterging. »Es ist die Jüngere von den beiden, glaube
     ich.«
    »Und was ist mit Clara?« Vera verspürte eine fürchterliche Mischung aus Freude, dass Ana wieder da war, und Sorge um Clara.
     Wie so oft unterdrückte sie die Tränen. Dafür war jetzt keine Zeit. Sie würde weinen, wenn sie ihre beiden Töchter wiederhatte.
    Als sie Ana am Ende des Ganges stehen sah, rannte sie auf sie zu und schloss sie in die Arme, bevor die Kleine etwas sagen
     konnte.
    »Sie ist auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir ihre Mama gesehen hätten«, sagte ein zweiter Wachmann, der neben Ana stand.
    Vera sah ihre Tochter an. Sie lächelte zufrieden, den Mund mit Schokolade verschmiert, ein halb aufgegessenes Eis in der Hand.
    »Wo hast du das her?«, fragte Vera. Ihre Freude wich schon wieder der Sorge. »Wo ist Clara? Sie war doch bei dir, oder?«
    Die Kleine nickte.
    »Wer   … wer hat dir das Eis gegeben?«
    »Das hat mir mein Papa gekauft«, sagte sie ungerührt. »Clara ist bei ihm.«
    Vera stockte der Atem. Einer der Wachmänner bückte sich zu der Kleinen hinunter.
    »Dein Vater?«
    Das Mädchen nickte, und der Beamte warf Vera einen Seitenblick zu.
    »Ihr Vater ist an einem Herzinfarkt gestorben«, wandte Vera mit gesenkter Stimme ein. »Ich weiß nicht, wer sie mitgenommen
     hat, aber er kann es nicht gewesen sein. Das können Sie ja sicher überprüfen.«
    Verwirrt flüsterte der Wachmann seinem Kollegen etwas ins Ohr und wandte sich dann wieder an Vera.
    »Also gut, das Wichtigste ist jetzt, dass wir Ihre ältere Tochter wiederfinden. Beschreiben Sie uns bitte noch, wie Ihr Mann
     ausgesehen hat, falls der Kerl, der Ihrer Tochter das Eis gekauft hat   … ihm ähnlich sieht.«
    Vera gab eine kurze Beschreibung ab, und sie setzten die Suche fort.
    Das war also die Botschaft. Er hatte sich ihre Töchter beide geschnappt und dann eine laufen lassen. Damit wollte er ihr vielleicht
     einen Deal vorschlagen. Den Kleinen würde nichts geschehen. Schließlich waren sie unschuldig. Doch wenn Vera weiter zu fliehen
     versuchte, würde sie sie für immer verlieren. Ja, das musste die Botschaft sein. Das Schreckliche war, dass sie die beiden
     auch verlieren würde, wenn sie die Flucht aufgab, nur anders.
    Zwanzig Minuten vergingen, dann traf sie eine Entscheidung und betrat eine Telefonzelle. Ob sie Clara fand oder nicht, es
     gab nur noch einen möglichen Weg. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Männerstimme.
    »Ja?«
    Vera schluckte, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. Ihre Entscheidung machte ihr Angst, aber es gab keinen anderen Ausweg.
     Und wenn sie einen weiteren Tag verstreichen ließ, brachte sie ihre Töchter noch mehr in Gefahr.
    »Ich bin’s, Vera. Weißt du noch, was wir gestern besprochen haben? Ich möchte, dass du mir diesen letzten Gefallen tust.«
    »Aber   …«
    Sie konnte verstehen, dass er Bedenken hatte, aber es gab keine Alternative.
    »Clara ist verschwunden!« Sie hielt inne und versuchte, sich zu beruhigen. Er konnte nichts dafür. Er hatte ihr von Anfang
     an nur geholfen.
    »Wo bist du?«, fragte der Mann aufgeregt. »Ich komme sofort.«
    »Nein! Ich will dich nicht mit hineinziehen. Das ist alles meine Schuld, und wenn meiner Tochter etwas zugestoßen ist   …«
    »Vera, ich will dir doch nur helfen.«
    »Dann mach, um was ich dich gebeten habe«, antwortete sie mit fester Stimme.
    »Also gut«, sagte der Mann, aber Vera hörte ihn schon nicht mehr. Sie hatte den Hörer fallen gelassen und war auf die Treppe
     zugerannt. Denn just in diesem Moment war sie ausgerufen worden: Sie solle unverzüglich ins Büro des Geschäftsführers kommen.
     Sie mussten Clara gefunden haben. Sie hörte Ana weinen, noch bevor sie die Tür zum Büro öffnete.
    Die Hände des Geschäftsführers lagen auf Claras Schultern. Sie hatte etwas an die Wange gedrückt und wimmerte fast lautlos.
     Vera brach in Tränen aus, lief auf Clara zu und drückte sie fest an sich.
    »Glauben Sie mir, wir werden den Kerl finden«, sagte einer der Wachmänner hinter ihr. Verständnislos löste sich Vera von ihrer
     Tochter.

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