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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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faltigen Finger, die von dunklem Schorf überzogen waren und in fünf bläulich verfärbten
     Nägeln ausliefen. »Eine andere Fluchtmöglichkeit gab es nicht. Trotz meiner Schulden lehnte ich ein Übernahmeangebot seitens
     des Unternehmens ab, und da wurde mir unter der Maßgabe strengster Diskretion ein Vorstandsposten angeboten. Wie finden Sie
     das? Für mich, der ich als Unternehmer aus dem Nichts kam, war so etwas unvorstellbar. Tatsächlich machte sich der Verlust
     an Führungspersonal allmählich bemerkbar. Ein paar Mitglieder waren bereits tot, wie auch zahlreiche Angestellte, obwohl man
     noch nicht wusste, was dahintersteckte.
    Bald nachdem ich das Angebot angenommen hatte, verfiel ich auf den großartigen Plan, wir könnte unseren eigenen Tod vortäuschen
     und uns hier einschließen. Und dabei ist es bis auf den heutigen Tag geblieben, Señorita Alvarado. Einige haben es nicht lange
     ausgehalten, darunter auch mein Vorgänger, und so kam ich schließlich auf den Posten des Vorsitzenden. Wir mögen uns danach
     sehnen, ein paar Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren, aber wir wissen, dass diejenigen, die den Turm verlassen haben, nie
     wieder aufgetaucht sind. Dank dem Opfer, das wir erbringen, lebt das Unternehmen also fort. Wenn wir verschwinden würden   … hätte die Firma keine Zukunft mehr. Das, was uns bedroht, versucht, die Früchte unserer Anstrengungen zu vernichten. Aber
     die Firma muss weiterleben, und einer muss zu diesem Zweck die Entscheidungen treffen.«
    Isabel spürte Zacs Hand an ihrer Hüfte; er schob sie unmerklich ein Stückchen zur Seite.
    »Was ist das denn für eine Bedrohung?«, fragte Vera und zog so Visottis Aufmerksamkeit auf sich.
    Sie hatte Zacs Absicht durchschaut. Isabel ließ sich ganz langsamnach links schieben. Wenn Zac irgendeinen Weg gefunden hatte, ihren Bruder zu retten, dann musste sie ihm vertrauen. Das war
     der letzte Strohhalm, an den sie sich klammern konnte.
    »Das wissen wir nicht, meine Liebe, das wissen wir noch nicht. Aber ich kann Ihnen versichern, wenn wir den Schuldigen entdecken,
     werden wir ihn teuer bezahlen lassen, so wie er viele von uns für Operationen hat zahlen lassen, von denen an sich niemand
     wissen dürfte.«
    »Wollen Sie damit sagen   …?«
    »Ja«, versetzte der alte Mann. »Wir glauben, dass jemand dahinterstecken muss, der sich unter uns bewegt, der unser Vorgehen
     beobachten und unsere Schwachstellen registrieren konnte, indem er Tag für Tag an unserer Seite war. Hugo ist dieser Frage
     lange nachgegangen. Ohne ihn hätten wir hier nie so lange überleben können. Er hat großartige Arbeit geleistet.«
    »Danke, Herr Vorsitzender«, antwortete Hugo respektvoll. Er senkte den Kopf und stöhnte dabei kaum hörbar. Vera hätte schwören
     können, dass es sich um ein unterdrücktes Lachen handelte.
    »Aber er hat doch versucht, Ihren Sohn zu töten!«, brach es aus Isabel heraus. »Er ist ein Mörder!«
    »Wer ist das nicht?« Visotti stützte sich auf die Rückenlehne von Teos Stuhl und richtete sich mühselig auf. Seine Knochen
     knirschten erbärmlich. »Hugo hat nur meine Weisungen befolgt, und wir können ihm keinen Vorwurf daraus machen, dass er erfolglos
     geblieben ist. Er wird schon noch Gelegenheit bekommen, seinen Schnitzer auszubügeln.«
    Vera hörte, wie Hugo abermals in sich hineinlachte, aber außer ihr schien das niemand zu bemerken.
    »Ich habe eine Zeit lang versucht, Carlos und seine Mutter die Sache vergessen zu machen«, fuhr der alte Mann fort. Sein Blick
     verlor sich in der Dunkelheit. »Gott weiß, und der Teufel auch, dass ich es auf tausenderlei Weise versucht habe. Jeden Tag
     stirbt jemand, und wir vergessen die Toten, um unser Leben weiterleben zu können, nicht wahr? So einfach ist das. Unglücklicherweisehat meine Frau von Anfang an Verdacht geschöpft. Als ich herausfand, dass sie einen Privatdetektiv angeheuert hatte, um Nachforschungen
     anzustellen, regte ich im Vorstand an, sie aus dem Verkehr ziehen zu lassen. Das schien mir die beste Lösung.«
    Isabel traute ihren Ohren nicht.
    »Wie konnten Sie nur!«, rief sie.
    »Zum Glück musste ich mich nicht persönlich darum kümmern. Hugo hat das übernommen. Ein sauberes, schmerzloses Ende, wie ich
     glaube. Eine Spritze mit einem konzentrierten Schlafmittel, das ihr Nervensystem paralysierte. Als das Auto in den Abgrund
     stürzte, befand sie sich längst im Koma. Glauben Sie, die Entscheidung wäre mir nicht schwergefallen? Aber ich bin

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