Der 26. Stock
Gefahr für ihn dar. Als sie draußen waren, schloss er die Tür, ohne den Blick von Hugo und Visotti
zu wenden.
»Ihnen ist klar, dass Sie hier nicht lebend rauskommen, oder?«, fragte der alte Mann.
Zac trat zurück in die Mitte des Raums.
»Wie kommt es eigentlich, dass du mich nicht wiedererkannt hast?«
Isabel drehte sich zu ihm um. Bis zu diesem Moment hatte sie daran gar nicht gedacht. Visotti wirkte verstört und sah den
Mann vor sich durchdringend an.
»Zac!«
»So lange ist das alles nicht her. Kann es sein, dass deine Fähigkeiten allmählich nachlassen?«
Zacs Ton hatte sich verändert. Er schien mit einem alten Freund zu sprechen. Hugo sah verständnislos zwischen den beiden hin
und her.
»Ich baue rasant ab, Zac«, gab Carlos’ Vater zu. »Ich werde klüger, aber mein Gedächtnis und meine Augen werden von Tag zu
Tag schlechter. Wie du aussiehst … Als würdest du direkt aus der Hölle kommen.«
»Du siehst auch nicht viel besser aus. Das reinste Wrack.«
Der alte Mann lächelte und griff sich dabei an die Hüfte.
»Stimmt, was mich allerdings nicht daran hindert, dieses wundervolle Unternehmen weiter zu leiten.« Auf einmal schien ihm
eine Kleinigkeit aufzufallen, die ihm bisher entgangen war. »Was machst du überhaupt hier?«
»Dein Sohn hat mich geschickt.«
»Mein Sohn liegt bewusstlos im Krankenhaus«, entgegnete Visotti.
»So ist es, aber das hat ihn nicht gehindert, auf Eventualitäten vorbereitet zu sein. Es wundert mich, dass du ihn so unterschätzt
hast. Du hättest doch merken müssen, dass er mindestens so intelligent ist wie du. Seine Mutter – deine Frau – hatte ihm vor
dem Tod von ihren Verdächtigungen erzählt. Als er in den Turm kam, hat er sich das nötige Beweismaterial beschafft und mir
gezeigt. Ich hielt ihn für verrückt. Vielleicht hatte mal jemand aus dem Turm den eigenen Tod inszeniert, um eine Versicherungsprämie
zu kassieren, aber gleich alle Vorstandsmitglieder zusammen? Das war doch undenkbar. Trotzdem, Carlos hat mir davon erzählt,
weil er wusste, dass mich das Ganze nicht kaltlassen würde. Und weißt du, wann er mir davon erzählt hat? Als er Isabel kennengelernt
hat. Und als er herausfand, dass auch sie in Gefahr schwebte, hat er mich gebeten, dass ich mich auf diese Weise für seine
Hilfeleistung mir gegenüber revanchiere. Du bist schuldig, den Tod seiner Mutter angeordnet zu haben, und du bist schuldig,
einen Mordanschlag auf meinen besten Freund angestiftet und deine eigene Firma im Stich gelassen zu haben. Viele Familien
haben dadurch Not leiden müssen. Und das alles hast du nur getan, um es hierher zu schaffen – um bei lebendigem Leib zu verfaulen,
für nichts als ein Stückchen Macht.«
»Ach so«, sagte der Vorsitzende sarkastisch. »Du kommst her und bedrohst mich aus Rache dafür, dass du meinetwegen auf der
Straße gelandet bist?«
»Du kapierst überhaupt nichts. Ob ich Rache übe, spielt keine Rolle. Ich glaube nicht einmal, dass eine Kugel die richtige
Strafe für dich wäre. Ich sehe ja, irgendjemand, wer auch immer es seinmag, hat sich eine wesentlich ausgeklügeltere Bestrafung für dich ausgedacht, etwas, das ich dir niemals bieten könnte. Du
wirst sterben, wie wir anderen auch. Mit dem Unterschied, dass es in unserem Fall Menschen geben wird, die innig an uns zurückdenken
und uns vermissen werden. Für dich und deine Helfershelfer gilt das nicht. Ihr seid vollkommen allein. Niemand wird sich an
eure Namen erinnern, und wahrscheinlich bekommt ihr nicht einmal einen traurigen Kranz auf einem Grabstein. Gerade hast du
den Mann, den ihr erstochen habt, einen Schwächling und Dummkopf genannt, aber auch wenn seine Leiche in einigen Minuten verbrennen
wird, hat er jemanden, der an ihn denkt und ihn vermisst. Das ist viel mehr wert als ein Vorstandsposten in irgendeinem Konzern.«
»Wie meinst du das, verbrennen wird?«, fragte Visotti nervös. Er machte einen Schritt nach vorne, als hätte er Zacs Waffe
schlichtweg vergessen. Zac drückte ab. Die Kugel schlug in die Decke ein, und schwarze Farbe und Staub bröckelten auf den
Holztisch hinunter. Visotti hielt inne. Die nächste Kugel würde ihn in den Kopf treffen.
»Der Brand wird bald das oberste Stockwerk erreicht haben. Und es gibt keinen Fluchtweg mehr, Umberto. Wir sind alle erledigt.«
Das Gesicht des alten Mannes verzog sich zu einer grässlichen Fratze, und die Zahl der Falten in seinen eingefallenen Zügen
schien
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