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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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sich aufgegeben. Am Boden liegend, kroch er mit letzter Kraft zu Hugo und umklammerte dessen Füße.
    »Bitte verschone mich. Ich   … ich will nicht sterben.«
    Hugo lächelte ihn verächtlich an.
    »Du flehst um Gnade?«, fragte er und hob das Messer. »Dann werde ich Milde walten lassen. Schließlich bist du kein ganz übler
     Boss gewesen. Ich werde es dir ersparen, in den Flammen umzukommen. Du wirst als Erster sterben.«
    Isabel drückte immer noch ihren Bruder an die Brust und hielt ihm die Ohren zu. Mochte sein, dass sie bald sterben würden,
     aber sie würde nicht zulassen, dass Teo das alles sah oder hörte. Hinter Hugo leckten die Flammen am Fenster. Sehr bald würde
     die Hitze die Scheibe in tausend Stücke zerspringen lassen.
    »Der alte Kaiser Visotti stirbt, der neue Kaisers tritt an!«, schrie Hugo und schickte sich an, die Waffe niedersausen zu
     lassen.
    Isabel schloss die Augen – sie erwartete einen letzten Schmerzensschrei des alten Mannes, doch stattdessen hörte sie einen
     Schuss. Sie öffnete die Augen wieder und sah, wie Blut aus Hugos Hand schoss. Das Messer war ihm entglitten. Vera trat aus
     dem Schatten im hinteren Teil des Raums hervor. Sie hatte Zacs kleine Automatikwaffe in der Hand, aus deren Lauf ein dünner
     Rauchfaden aufstieg. Sie drückte ein zweites Mal ab. Isabel wich zurück und spürte dabei, wie ihr Bruder sich in ihren Armen
     hin und her wand. Hugo fuhr sich über die Stirn, in der ein tiefes Loch klaffte, und besah sich die dickflüssige Substanz,
     die daraus hervorquoll. »Hast du deine Lektion denn immer noch nicht gelernt?«
    Er bückte sich und hob mit der intakten Hand das Messer auf. Dann machte er einen Schritt auf Vera zu.
    »Stehen bleiben!«
    Ein dritter Schuss. Hugo griff sich mit schmerzverzerrter Miene an den Bauch, doch wenige Sekunden später richtete er sich
     wieder auf und setzte seinen Weg fort. Auf einmal spürte Isabel, wie Teos Hand sich in ihre Tasche stahl. Er suchte etwas.
     Dass da etwas zu finden war, wusste er von der Kinderzeichnung, die Hugo ihm abgenommen hatte.
    »Vera, nein   … Du kannst ihm nichts anhaben«, wandte Zac ein.
    Sie hörte nicht auf ihn, doch bevor sie ein weiteres Mal abdrücken konnte, stand Hugo schon direkt vor ihr. Vera wich nicht
     zurück. Das hatte sie in ihrem Leben schon zu oft getan. Sie schloss die Augen und drückte aus nächster Nähe ab, doch es kam
     keine Kugel mehr.
    »Das wird ein hübscher Schnitt, werte Dame.«
    Hugos Hand tanzte durch die Luft, und die Klinge bewegte sich auf Veras Hals zu. Da erfüllte ein Schrei und ein schriller
     Ton wie von tausend Sirenen den Raum. Hugo, Vera, Isabel, Zac, alle krümmten sich auf dem Boden und hielten sich die Ohren
     zu. Als der Lärm nachließ und sie den Blick hoben, sahen sie ihn in der Mitte des Raums neben seiner Schwester stehen. Teo
     hatte sich nicht schützen müssen. Er war bereits in Sicherheit. Er hielt den rechten Arm weit ausgestreckt und hatte die Hand
     zur Faust geballt. Hugo sah ihn nervös an.
    In Teos Faust bewegte sich etwas, und allmählich öffnete sich die Hand. Der Junge schien ebenso überrascht zu sein wie die
     anderen. Auf seiner Handfläche bewegte sich ein kleiner hölzerner Fisch, der blau leuchtete. Teo hatte keine Angst. Seine
     Lippen hörten auf zu zittern. Er fühlte sich hervorragend. Ein Fisch, dachte er.
    »Das Symbol   … von Jesus Christus«, sagte Zac neben ihm matt.
    Der Fisch wand sich und sprang in die Höhe. Als er wieder auf der Handfläche aufkam, verschwand er in einer Explosion von
     blauem Licht.
    Teo schloss die Augen und merkte, wie seine übrigen Sinne zum Leben erwachten. Er hörte Schreie um sich herum. Menschen auf
     dem Korridor, verschreckt darüber, dass das Feuer aufs oberste Stockwerk übergegriffen hatte. Die Fensterscheiben platzten,
     und Hugo schrie und schrie, wiederholte ein ums andere Mal, er werde niemals sterben und nichts und niemand werde etwas gegen
     ihn ausrichten können, aber er war noch immer geblendet. Alle anderen auch. Teo spürte die warme, weiche Berührung des kleinen
     Fischs. Er war nicht mehr aus rauem Holz. Erhatte sich verändert. Teo öffnete die Augen und sah ihn abermals auf seiner Hand springen.
    Das Wehklagen   …
    Der Fisch beschrieb eine Kurve durch die Luft, Millimeter um Millimeter, frei von den Gesetzen von Zeit und Raum.
    Das Wehklagen der Verdammten   …
    Teo lächelte und erkannte, dass alles gut war. Er hatte nichts zu befürchten. Der Wunsch

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