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Der 26. Stock

Titel: Der 26. Stock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Enrique Cortés
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gewusst.
     
    Je weiter sie die Innenstadt hinter sich ließ, desto länger wurden die Straßenzüge der Mietskasernen, in denen die Bewohner
     der Stadt sich verschanzten. Hin und wieder erschien zwischen den Gebäuden eine kleine Grünanlage mit Rutschbahn und vier
     oder fünf Bänken, wo Kinder Ball spielten oder herumrannten. Nach etwas über einer halben Stunde gelangte sie an einen Platz
     nahe der gesuchten Straße, den sie sich zur groben Orientierung gemerkt hatte. Isabel war nicht klar gewesen, dass die Straße
     so weit im Süden lag. Sie entdeckte in einer Lücke zwischen den Gebäuden eine alte Backsteinmauer. Das musste der ehemalige
     Schlachthof sein. Schließlich erreichte sie die Straße, die sie gesucht hatte.
    Sie stellte den alten Ford ab und stieg aus. Die Straße war sehr lang, gesäumt von vierzig oder fünfzig Jahre alten zweistöckigen
     Häusern mit kleinen Terrassen. Die Immobilienspekulanten waren noch nicht bis hierher vorgedrungen. Isabel suchte die Hauseingänge
     nach dem Post-Logo ab, aber sie wurde nicht fündig. Es war auch niemand da, den sie hätte fragen können. Da entdeckte sie
     ein leeres Ladenlokal, dessen Fensterscheiben mit alten Zeitungen zugeklebt waren. Auf einem vergilbten Zettel stand: »Zu
     verkaufen«. Als Nächstes sah sie die Aufschrift
SPIELWA EN
über einem ehemaligen Spielzeuggeschäft. Isabel ging die Straße hinunter. Die meisten Läden waren geräumt. Wahrscheinlich
     war die Calle del Olvido in besseren Zeiten eine florierende Geschäftsstraße gewesen. Etwa hundert Meter von ihrem Parkplatz
     entfernt fand sie eine offene Kneipe. Sie trat ein. Es stank nach Zigarettenrauch. Ein alter Mann saß an einem rustikalen
     Holztischchen und reinigte sich mit einem Zahnstocher seine Fingernägel. Er trug eine knallrote Kappe mit dem Logo eines Sportartikelherstellers.
     Zwei einarmige Banditen warteten darauf, dass jemand sein Glück versuchte. Hinter dem Tresen stand ein schmerbäuchiger Mann
     mittleren Alters.
    »Guten Abend«, grüßte Isabel und ging zu ihm. »Entschuldigen Sie, ich suche ein Postamt hier in der Straße.«
    Der Wirt schüttelte den Kopf, nahm ein nasses Glas aus der Spüle und machte sich daran, es abzutrocknen.
    »Hab ich doch gleich gewusst, dass Sie nicht hergekommen sind, um was zu trinken. Entweder will die was fragen, hab ich mir
     gedacht, oder sie braucht Kleingeld zum Telefonieren. Das war doch klar, oder, Chef?«
    Isabel warf einen Blick auf den älteren Mann, aber der war immer noch mit seinen Nägeln beschäftigt und schenkte der Frage
     keine Beachtung.
    »Das war so was von klar«, fuhr der Wirt deshalb fort. »Aber macht nichts, junge Frau, wir stehen Ihnen zur Verfügung, und
     wenn Sie wissen wollen, wo die nächste Post ist, das sind fünfzehn Minuten zu laufen. Aber um die Uhrzeit haben die ohnehin
     schon zu.«
    »Es soll hier aber ein Postamt geben, in der Calle del Olvido 64.«
    »Nein«, entgegnete der Wirt bestimmt und schüttelte den Kopf. »Nein, junge Frau, hier haben sie vergessen, eine Post aufzumachen.
     Und die Hausnummer 64   … Das ist doch dahinten an der Kapelle, oder, Chef?«
    Der alte Mann zeigte noch immer keine Reaktion. Der Wirt stellte das Glas auf den Tisch.
    »Na, Sie haben den alten Herrn ja gehört«, sagte er, während er eine der wenigen Flaschen aus dem Regal nahm und das Weinglas
     zur Hälfte füllte. »Die Straße runter, an der Kapelle, glaube ich. Und, wollen Sie jetzt ein Schlückchen?«
    »Nein, danke«, antwortete Isabel hastig.
    »Na kommen Sie«, beharrte der Mann und schob Isabel das Glas hin. »Geht aufs Haus.«
    »Nein, wirklich, vielen Dank.«
    »Wie Sie meinen.« Er zuckte die Achseln, drehte sich um und verschwand hinter einer Gardine, die den Tresenbereich von der
     Küche abtrennte.
    Isabel betrachtete den alten Mann, der weiter seiner Beschäftigung nachging. Sie hätte schwören können, dass er in der Zwischenzeit
     nicht mal den Fingernagel gewechselt hatte. Ohne zu wissen, ob jemand ihren Gruß zur Kenntnis nehmen würde, sagte sie Auf
     Wiedersehen und verließ das Lokal.
    Der Wirt hatte behauptet, es gäbe hier kein Postamt. Wenn das stimmte, hatte die Adresse wohl nichts mit dem Schlüssel zu
     tun. Sie ging die Straße hinunter und stieß nach etwa hundert Metern auf das gesuchte Ziel. Über einer rostigen Metalltür
     zeigten zwei mit weißer Farbe gemalte Ziffern, dass sie an der Hausnummer 64 der Calle del Olvido angekommen war. Es handelte
     sich um einen

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