Der 26. Stock
an eines der Seitenfenster, um den Büroturm betrachten zu können. Er genoss diesen Anblick, besonders nachts. Dann spiegelte
sich die Scheinwerferbeleuchtung in den Scheiben. In den oberen Stockwerken verlor sich das Licht allerdings und der höchste
Teil des Gebäudes lag sogar ganz im Schatten, als wäre es ein Geisterturm. Teo kannte Schlösser und Burgen von Bildern oder
Fotos, aber wenn in einem seiner Romane ein Geisterschloss auftauchte, dann hatte er den Turm bei Nacht vor Augen, wie er
im dunklen Himmel verschwand und mit ihm verschmolz.
Als der Bus in der leeren Tiefgarage stehen blieb, stieg Mr O’Reilly aus und half wie immer seinen Angestellten, das neue
Material abzuladen. Teo mochte seinen Chef. Er führte ein Unternehmen mit Dutzenden von Mitarbeitern, und doch packte er jeden
Abend kräftig mit an, wenn es daran ging, das Gebäude zu reinigen. Während die anderen Kleinbusse in die Tiefgarage fuhren,
ging O’Reilly zu einem der Aufzüge. Teo wusste, dass er das Päckchen holen ging, das die Sicherheitsleute seit ein paar Tagen
bereitstellten. Dutzende von Karten, mit denen die Putzleute in ihre jeweiligen Stockwerke fahren konnten und die sie vor
der Abfahrt zurückgeben mussten. Mr O’Reilly hatte sich dazu unmissverständlich geäußert. Sie durften ihre Karten auf keinen
Fall verlieren. Jeder von ihnen war für seine Karte verantwortlich.
Mr O’Reilly kehrte zurück und verteilte die Karten. Vor den Aufzügen bildeten sich Schlangen, denn laut der neuen Sicherheitsbestimmungen
durfte immer nur einer im Aufzug fahren. Angeblich sei das die einzige Methode, hatte das Unternehmen verlauten lassen, mit
der sichergestellt werden könne, dass die Karten korrekt verwendet wurden. Teo störte das nicht im Geringsten. Er stellte
sich ganz hinten in die Schlange, zusammen mit Dolores, einer freundlichen Endfünfzigerin, die auf derselben Etage putzte
wie er. Sie unterhielten sich meistens über das, was sie tagsüber erlebt hatten, und er erzählte ihr von seiner Schwester
oder davon, was er in der Schule gelernt hatte. So verging die Wartezeit schnell.
»… und heute habe ich mir Reis gekocht, obwohl meine Schwester gestern auch schon Reis gekocht hat, aber ich esse ihn so gerne,
vor allem mit Tomatensauce. Ohne Tomaten mag ich ihn nicht so gern.«
Dolores lächelte.
»Sag mal, deine Schwester, wann …?« Der Satz wurde durch das schrille Klingeln des Aufzugs unterbrochen. Die Metalltüren öffneten sich, und Teo trat wie jeden
Tag beiseite, um Dolores den Vortritt zu lassen. Sie erwiderte seine höfliche Geste damit, dass sie ihm übers Haar strich
und ihm zulächelte, während die Tür sich wieder schloss. »Wir sehen uns dann oben, mein Junge.«
Teo drehte die I D-Card hin und her, während ein anderer Aufzug sich öffnete und der nächste Kollege sich auf den Weg nach oben machte. Die Karte
glänzte schön silbrig, ganz ähnlich wie eine Kreditkarte. Seine Schwester hatte eine grüne bekommen, mit ihrem Namen. Auf
seiner stand nur eine Nummer. Jeder hatte eine Nummer und die entsprechende Karte. Er hatte die 56. Teo ging rasch all die Zahlen durch, die man sich im Leben so merken musste: sein Alter, den eigenen Geburtstag und den von
Isabel, alle möglichen Telefonnummern, die Geheimzahlen verschiedener Karten … Da klingelte schon wieder der Lift und öffnete vor Teo seine Türen. Teo betrat den Aufzug, steckte die Karte, wie man es
ihm beigebracht hatte, in den kleinen Schlitzunterhalb der Knöpfe. Die Türen schlossen sich wieder. Dann setzte sich der Aufzug in Bewegung. Nacheinander leuchteten die
Lämpchen für die verschiedenen Stockwerke auf. Teo wartete, dass der Lift im 12. Stock stehen blieb. Aber das tat er nicht. Teo warf einen verblüfften Blick auf die Anzeige. Da blinkte das Lämpchen für die
oberste Etage auf. Der Lift fuhr immer weiter nach oben. Teo holte seine I D-Card heraus. Er hatte keine Ahnung, was da los war. Die Karte sah genauso aus wie sonst. Hatte sich Mr O’Reilly etwa getäuscht
und ihm die falsche gegeben? Oder hatte er selbst etwas falsch gemacht? Die Stockwerke zogen an ihm vorbei, und der Lift wollte
einfach nicht stehen bleiben. Teo wurde allmählich nervös, seine Unterlippe bebte und die Hände zitterten. Da fiel ihm ein,
was er in der Schule für solche Fälle gelernt hatte. Er sah sich nach dem Alarmknopf um. Es gab zwei, einen gelben mit einem
Klingelsymbol und einen roten,
Weitere Kostenlose Bücher