Der 3. Grad
Leistungsbescheid. Ausgefüllt. Als ich den Text las, gefror mir das Blut in den Adern.
Wir haben den Agenten von Habgier und Korruption in unserer Gesellschaft den Krieg erklärt. Wir können nicht länger tatenlos zusehen, wie die Klasse der Mächtigen, deren einziges ererbtes Privileg ihre Arroganz ist, sich auf Kosten der Unterdrückten, Schwachen und Armen bereichert. Die Ära der ökonomischen Apartheid ist zu Ende. Wir werden euch finden, ganz gleich, wie groß eure Villen oder wie einflussreich eure Anwälte sind. Wir sind in euern Häusern, an euren Arbeitsplätzen, überall. Und wir verkünden euch: Euer Krieg findet nicht irgendwo da draußen statt, sondern hier. Und ihr führt ihn gegen uns
.
Ach du Scheiße
. Ich sah Chin an. Das war kein gewöhnlicher Mord. Es war eine Hinrichtung. Eine Kriegserklärung. Und Chin hatte Recht – der Fall Lightower wurde dadurch tatsächlich ein gutes Stück komplizierter.
Unterschrieben war die Mitteilung mit
August Spies
.
Zweiter Teil
25
Mein erster Anruf galt Claire.
Wir hatten etwa eine Stunde. Mehr Zeit blieb uns nicht, bevor dieser groteske, scheinbar willkürliche Mord die Schlagzeilen im ganzen Land beherrschen würde – als zweiter Mordfall in einer brutalen Terrorkampagne. Ich musste herausfinden, woran Bengosian gestorben war, und zwar schnell.
Der zweite Anruf galt Tracchio. Es war noch nicht fünf Uhr. Der Dienst habende Beamte der Nachtschicht stellte mich durch.
»Hier spricht Lindsay Boxer«, sagte ich. »Sie sagten, Sie wollten sofort informiert werden, wenn sich etwas Neues ergäbe.«
»Ja«, hörte ich ihn knurren, während er mit dem Telefon herumhantierte.
»Ich bin im Hotel Clift. Ich glaube, wir haben gerade das Motiv für die Lightower-Bombe gefunden.«
Ich konnte ihn geradezu vor mir sehen, wie er sich in seinem Pyjama kerzengerade aufrichtete und vor Aufregung seine Brille vom Nachtisch stieß. »Hat einer der X/L-Partner endlich ausgepackt? Es ging um Geld, nicht wahr?«
»Nein«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »
Krieg
.«
Nachdem ich das Gespräch mit dem Polizeichef beendet hatte, sah ich mich in Bengosians Hotelsuite um. Kein Blut, keine Spuren eines Kampfes. Ein halb gefülltes Champagner glas stand auf dem Konferenztisch. Ein zweites lag zersprungen zu Bengosians Füßen. Sein Jackett war über die Couch geworfen. Eine offene Flasche Roederer.
»Besorgen Sie uns eine Beschreibung von der Person, mit der er aufs Zimmer gegangen ist«, wies ich Lorraine Stafford an, eine der Ermittlerinnen der Mordkommission. »Wenn wir Glück haben, gibt es hier in der Eingangshalle Überwachungskameras. Und außerdem wollen wir zu rekonstruieren versuchen, wie Bengosian den ersten Teil des Abends verbracht hat.«
Wir haben den Agenten von Habgier und Korruption in unserer Gesellschaft den Krieg erklärt
..., begann die Botschaft.
Ein eiskalter Schauer durchfuhr mich.
Es wird wieder passieren
.
Ich wusste, dass ich in den nächsten paar Stunden so viel wie möglich über Bengosian und die Firma Hopewell Gesundheitsfürsorge herausfinden musste. Ich hatte keine Ahnung, womit er es verdient hatte, auf diese Art und Weise ermordet zu werden.
Ich griff nach dem zusammengeknüllten Brief.
Wir werden euch finden, ganz gleich, wie groß eure Villen oder wie einflussreich eure Anwälte sind. Wir sind in euren Häusern, an euren Arbeitsplätzen, überall ... Euer Krieg findet nicht irgendwo da draußen statt, sondern hier. Und ihr führt ihn gegen uns
.
Wer bist du, August Spies?
27
Zu der Zeit, als die meisten Menschen zu Hause die Frühnachrichten einschalteten, lagen uns verschiedene Beschreibungen einer »hübschen Brünetten in einem Kostüm« (der Nachtportier) vor, die »anscheinend ganz scharf auf den Typen war« (der Ober des Masa) und die Bengosian am Abend zuvor auf sein Hotelzimmer begleitet hatte.
Sie war entweder die Mörderin oder eine Komplizin, die den Mörder hereingelassen hatte. Nicht das Kindermädchen, das wir suchten, sondern eine andere Frau.
Ich blickte von den Papieren auf meinem Schreibtisch auf und sah Claire vor mir stehen. »Hast du mal 'ne Sekunde Zeit, Lindsay?«
Claire schaffte es, selbst bei den grausigsten Fällen stets ihren Optimismus zu bewahren, doch jetzt verriet ihre Miene deutlich, dass sie etwas herausgefunden hatte, was ihr ganz und gar nicht gefiel. »Ich schulde dir ein paar Stunden Schlaf«, sagte ich.
Nein, du schuldest mir gar nichts
, signalisierte ihr beunruhigter Blick.
»Ich mache
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