Der 3. Grad
lang.
Ich hielt den Beutel hoch. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was es war.
»Muss alles komplett weggeschmolzen sein.« Clapper zuckte mit den Achseln. Er griff hinter sich, kramte in den Taschen seiner Jacke, die er über die Lehne gehängt hatte, und zog einen ähnlich aussehenden Gegenstand hervor.
»Proventil, Lindsay.« Er nahm die Verschlusskappe seines eigenen Behälters ab und setzte sie auf den aus dem Beweismittel-Beutel. Er passte genau. Dann drückte er zweimal das Mundstück nieder. Zwei Wölkchen stoben hervor.
»Wer auch immer in diesem Bett geschlafen hat, hatte Asthma.«
23
Lange, nachdem alle anderen gegangen waren, saß Jill Bernhardt noch in ihrem abgedunkelten Büro. Vor ihr auf dem Tisch lag aufgeschlagen eine Prozessakte. Plötzlich merkte sie, dass sie schon seit zehn Minuten dieselbe Seite anstarrte. Sie hatte sich angewöhnt, an Tagen, wenn Steve weder unterwegs war noch länger arbeitete, einfach im Büro zu bleiben. Sie tat, was sie konnte, um ihm aus dem Weg zu gehen. Auch wenn sie gerade keinen Prozess vorzubereiten hatte.
Jill Meyer Bernhardt. Die Super-Anwältin. Die Überfliegerin.
Sie traute sich nicht nach Hause.
Langsam massierte sie die schmerzhafte Prellung an ihrem Rückgrat. Der neueste blaue Fleck. Wie konnte das sein? Sie war es gewohnt, Frauen, denen es so ging wie ihr jetzt, vor Gericht zu vertreten, anstatt sich selbst mit einem solchen Geheimnis im Dunkeln zu verkriechen.
Eine Träne rann ihr übers Gesicht.
Es ging los, nachdem ich das Baby verloren hatte
, dachte sie. Da hatte alles angefangen.
Aber nein, die Probleme mit Steve hatten schon viel früher begonnen, das wusste sie sehr wohl. Als sie gerade mit dem Ju rastudium fertig gewesen war und er sein BWL-Diplom gemacht hatte. Es fing damit an, dass er ihr vorschreiben wollte, was sie anziehen durfte und was nicht. Entweder war es nicht nach seinem Geschmack, oder es ließ zu viel von ihren Narben sehen. Dann die Dinnereinladungen, bei denen seine Meinung – zur Politik, ihrer Arbeit, egal, was – so viel mehr zu gelten schien als ihre. Wo er so tat, als hätten sie die Anzahlung für ihr Haus in der Stadt und den BMW allein von
seinem
Gehalt finanziert.
Du kannst das nicht, Jill
. Das hatte sie pausenlos zu hören bekommen, seit sie ihn kannte.
Verdammt
. Sie fuhr sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Sie war die ranghöchste stellvertretende Bezirksstaatsanwältin dieser Stadt. Was musste sie denn noch beweisen?
Das Telefon klingelte. Das schrille Geräusch ließ sie zusammenfahren. War es Steve? Allein beim Klang seiner Stimme drehte sich ihr schon der Magen um. Dieser widerliche, ach-sobesorgte, ach-so-beflissene Ton: »He, Schatz, was machst du denn da noch? Komm doch nach Hause und lass uns eine Runde laufen.«
Zu ihrer Erleichterung meldete ihr das Display, dass der Anruf von einem Staatsanwalt aus Sacramento kam. Er rief zurück wegen der Genehmigung zur Vorladung eines Kronzeugen, der im Staatsgefängnis einsaß. Sie ließ den Anrufbeantworter anspringen.
Dann klappte sie die dicke Akte zu. Das war das letzte Mal, schwor sie sich. Als Erstes würde sie Lindsay alles erzählen. Es tat ihr weh, ihrer Freundin gegenüber nicht aufrichtig zu sein. Lindsay hielt Steve sowieso für ein Arschloch. Sie war ja nicht auf den Kopf gefallen.
Während sie ihre Unterlagen in die Aktentasche stopfte, klingelte das Telefon erneut. Diesmal hatte das Läuten diesen ganz eigenen, unverwechselbaren Klang, der ihr durch Mark und Bein ging.
Geh nicht dran, Jill
. Sie war schon fast zur Tür hinaus. Aber irgendetwas brachte sie dazu, einen Blick auf die Digitalanzeige zu werfen. Die bekannte Nummer leuchtete auf. Jill spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Langsam hob sie den Hörer ab. »Bernhardt«, hauchte sie und schloss die Augen.
»Machst du wieder mal Überstunden, Schatz?« Steves Stimme versetzte ihr einen Stich. »Wenn ich es nicht besser wüsste«, meinte er und klang dabei fast beleidigt, »würde ich ja fast vermuten, dass du Angst hast, nach Hause zu kommen.«
24
An diesem Abend hatte George Bengosian endlich einmal Glück.
Er war klein, sein Haar schon recht schütter, und seine große, platt gedrückte Nase machte ihn nicht eben attraktiver. Schon zu Beginn seiner Assistenzzeit im Krankenhaus hatte er festgestellt, dass die Urologie doch nicht ganz das Richtige für ihn war, und er hatte seine wahre Berufung darin gefunden, schwächelnde regionale Versicherer zu riesigen
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