Der 3. Grad
glücklich war.
»In einem Punkt hast du vielleicht Recht«, sagte Jill nach einer Weile. »Vielleicht habe ich diese blauen Flecken
wirklich
nicht von der Duschkabine.«
32
Es gibt Verbrechen, die sind einfach nur brutal und unentschuldbar. Manchmal machen sie mich krank vor Wut, aber zumindest liegen die Motive offen zutage. Ab und zu kann ich sie sogar verstehen. Dann gibt es die versteckten Verbrechen, von denen niemand etwas mitbekommen soll. Die Grausamkeiten, die kaum die Haut des Opfers ritzen, aber kaputt machen, was darunter ist – jene kleine Stimme der Menschlichkeit in uns allen.
Und das sind die Verbrechen, die mich manchmal an meinem Beruf zweifeln lassen.
Nachdem Jill mir erzählt hatte, was sich zwischen ihr und Steve abgespielt hatte, nachdem ich mit ihr geweint hatte wie mit einer kleinen Schwester und ihre Tränen getrocknet hatte, fuhr ich wie betäubt nach Hause. Ein Schleier hatte auf ihrem Gesicht gelegen, eine bleiche Maske der Scham, die ich nie vergessen werde.
Jill, meine Jill
.
Mein erster Impuls war, noch an diesem Abend hinzufahren und Steve eine Anzeige um die Ohren zu hauen. Die ganze Zeit hatte dieses aalglatte, selbstgerechte Schwein sie schikaniert und drangsaliert, sie geschlagen.
Ich konnte an nichts anderes denken als an Jill und daran, wie sie mich angeschaut hatte, mit dem Gesicht eines kleinen Mädchens. Nicht die leitende stellvertretende Bezirksstaatsanwältin, die Jahrgangsbeste in Stanford, die durchs Leben zu spazieren schien. Die mit ihrem eisigen Blick Mörder hinter Gitter schickte. Meine Freundin.
Die ganze Nacht über wälzte ich mich schlaflos hin und her. Am nächsten Morgen musste ich all meine Kraft aufwenden, um mich auf den Fall konzentrieren zu können. Das Labor hatte im Lauf der Nacht Claires Ergebnisse bestätigt. Bei der Substanz, die George Bengosian eingenommen hatte, handelte es sich tatsächlich um Rizin.
Noch nie hatte ich im Justizpalast eine derart angespannte Atmosphäre erlebt. Überall schwirrten FBI-Typen in dunklen Anzügen und Presseleute herum. Ich hatte das Gefühl, schon gegen die Sicherheitsvorschriften zu verstoßen, wenn ich nur Cindy und Claire anrief.
»Wir müssen uns treffen«, sagte ich ihnen. »Es ist wichtig. Sagen wir um zwölf im Susie's.«
Als ich das ruhige Selbstbedienungs-Café in der Bryant betrat, hockten Cindy und Claire schon an einem Ecktisch zusammen. Ihre Mienen waren besorgt.
»Wo ist Jill?«, fragte Cindy. »Ich dachte, sie käme mit dir.«
»Ich habe sie nicht dazugebeten«, erklärte ich und nahm gegenüber von den beiden Platz. »Es
geht
nämlich um Jill.« »Okay...«, nickte Claire verwirrt.
Ausführlich erzählte ich ihnen die ganze Geschichte – von meinem ersten Verdacht, nachdem ich beim Joggen die blauen Flecken an Jills Armen gesehen hatte; wie ich das ungute Gefühl nicht losgeworden war, dass da etwas nicht stimmte; und wie ich vermutet hatte, dass Jill sie sich nach dem Verlust ihres Babys selbst beigebracht haben könnte.
»Das ist doch längst vergessen und ausgestanden«, warf Cindy ein. »Oder etwa nicht?«
»Hast du sie gefragt?«, wollte Claire wissen. Ihre Miene war todernst.
Ich nickte und erwiderte ihren Blick.
»Und...?«
»Sie sagt: ›Und wenn ich mir diese blauen Flecken nun nicht selbst beigebracht hätte?‹«
Ich sah, wie Claire mich beobachtete und meine Miene zu deuten suchte. Wie Cindy ungläubig blinzelte, als ihr die Wahrheit zu dämmern begann.
»O mein Gott«, murmelte Claire. »Du redest doch nicht etwa von Steve...«
Ich nickte und schluckte krampfhaft.
Ein tiefes, bedrückendes Schweigen senkte sich auf unsere Runde. Die Bedienung kam, und wir bestellten mechanisch. Nachdem sie wieder gegangen war, sah ich die anderen an.
»Dieser Dreckskerl.« Cindy schüttelte den Kopf. »Ich würde ihm am liebsten die Eier abschneiden.«
»Willkommen im Club«, antwortete ich prompt. »Ich habe letzte Nacht auch an nichts anderes denken können.«
»Wie lange?«, fragte Claire. »Wie lange geht das schon so?«
»Das weiß ich nicht genau. Sie sagt immer wieder, es sei die Sache mit dem Baby gewesen. Als sie es verlor, gab unser Mr Einfühlsam ihr die Schuld. ›Du hast es nicht geschafft, wie? Die große Überfliegerin – aber kriegt nicht hin, was jede andere Frau hinkriegt: ein Kind zur Welt bringen.‹«
»Wir müssen ihr helfen«, sagte Cindy.
Ich seufzte. »Und wie – irgendwelche Ideen?«
»Holen wir sie raus da«, sagte Claire. »Sie kann doch bei
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