Der 4-Stunden-Koerper
bereits viel gesehen und über 100 000 Dollar ausgegeben. Nur wenige Dinge hatten sich tatsächlich gelohnt.
»Dr. Zweifinger« war Seabiscuits bester Freund. Ich erhielt diesbezüglich eine Textbotschaft von ihm, die mit den Worten endete:
»Kumpel, du musst dir unbedingt mal richtig was kaputtmachen, damit Dr. Zweifinger dich wieder auf Vordermann bringen kann. Vertrau mir.«
In Sachen Kaputtmachen hatte ich schon reichlich vorgesorgt, also buchte ich einen Flug nach Salt Lake City und fuhr fast eine Stunde lang bis zu der kleinen Mormonengemeinde Kaysville, wo sich die ChiroMAT-Praxis von Craig Buhler – Dr. Zweifinger – befindet.
Die Wände seines Wartezimmers sind bedeckt mit Dankesschreiben und signierten Trikots von den Besten der Besten in ihrer jeweiligen Sportart. Vertreten sind etwa der vierfache Super-Bowl-Star-Linebacker Bill Romanowski, die NBA-Spieler John Stockton und Karl Malone oder der Alpinski-Star Picabo Street, um nur einige zu nennen.
Buhler geht Verletzungen anders an als die meisten seiner Kollegen.
Im Gegensatz zur großen Mehrheit der Therapeuten, welche die verkrampften oder schmerzhaften Muskeln und Gelenke selbst behandeln (etwa: Schmerzen in der Lendenwirbelsäule? →mach Übungen für die Lendenwirbelsäule; Achillessehne tut weh? →Reha für die Achillessehne), versucht Dr. Buhler, die Zwiebel der Propriozeption Schicht für Schicht zu schälen, also in diesem Fall, wie das Nervensystem die Muskeln an- und ausschaltet.
Seabiscuit hatte Buhler den Spitznamen »Zweifinger« aufgrund seiner ungewöhnlichen Herangehensweise gegeben: Er isoliert und reaktiviert einzelne Muskeln, die verletzt oder deaktiviert worden sind. Bei seinen Topsportlern behandelt er so bis zu 700 Muskeln. Er drückt einen Finger tief in das Ende eines bestimmten Muskels (am Sehnenansatz) und einen Finger der anderen Hand in das gegenüberliegende Ende; dann geht er eine Reihe von Tests durch, um einen schlummernden Muskel wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zuzuführen. Aus einer Broschüre seiner Klinik:
Wir haben festgestellt, dass, wenn ein Körperteil überlastet oder weit über seine Kapazität hinaus beansprucht wird, dies zu vorhersehbaren Ergebnissen führt. Entweder werden Muskel oder Bindegewebe verletzt, oder das propriozeptive System deaktiviert Teile des Gewebes, ähnlich einer Sicherung in einem elektrischen Schaltkreis.
Der Körper passt sich an und lässt andere Muskeln die Belastung übernehmen. Durch Wiederholung schreitet diese Anpassung weiter voran. Das ergänzende Gewebe wird stärker, die geschädigten Bereiche verkümmern.
Es dauerte nicht lange, bis Dr. Zweifinger diese Reaktivierung an einem praktischen Beispiel demonstrieren konnte. Mithilfe eines FET-Sensors untersuchte er die Stärke meines Obergrätenmuskels (derjenige Muskel der Rotatorenmanschette, dessen Verletzung am gängigsten ist), erkannte, dass ich die Kraft von Dakota Fanning besaß, und machte sich dann daran, den Muskel zu reaktivieren, wobei er meine Kraft mehr als vervierfachte.
In weniger als fünf Minuten konnte ich statt drei Kilo 13 Kilo heben.
»Haben Sie Schmerzen am unteren Ende Ihrer rechten Achillessehne?«, fragte Buhler. Er hatte meine Ferse nicht einmal angesehen und doch sofort einen meiner größten Problembereiche ausgemacht. Er konnte sehen, dass ich verwirrt war, also erklärte er:
»Ihr zweiköpfiger Wadenmuskel funktioniert nicht richtig – er ist abgeschaltet. Offenbar haben Sie deshalb Schmerzen an Achillessehne und Knie und dadurch wahrscheinlich auch an Ihren Oberschenkelflexoren.«
Und so machte er immer weiter. Ein ums andere Mal wies er nach, dass das von mir ausgemachte Problem gar nicht das eigentliche Problem war. Es war ein Muskel, der die Arbeit eines anderen Muskels übernommen hatte, welcher sie wiederum von einem anderen Muskel übernommen hatte. Die ursprüngliche Muskeldeaktivierung befand sich dann auf der gegenüberliegenden Seite des Körpers, also nicht einmal in der Nähe der schmerzenden Stelle.
Seine Fähigkeit, solche Ursachen zu erkennen, war unglaublich. Ein Weltklasse-Gewichtheber, der sich von Buhler behandeln ließ, erzählte mir eine Anekdote von seinem ersten Besuch: »Er hatte mich noch nicht einmal berührt, da verkündete er, ich hätte einen schwachen Quadrizeps. Ich erwiderte: ›Einen schwachen Quadrizeps? Mann, ich kann 400 Kilo stemmen!‹ Craig zuckte nur die Achseln und machte sich an die Arbeit.« Später analysierte der Gewichtheber
Weitere Kostenlose Bücher