Der 50-50 Killer
wäre »angefleht« das richtige Wort, aber das lassen wir jetzt mal beiseite.
Während die E-Mails weiter hin- und hergingen, schien Jodies anfängliche Vorsicht dieser Korrespondenz gegenüber nachzulassen, und nachdem sie eine Weile um ihre Vergangenheit herumgeredet hatten, wurden sie beide lockerer. Jodie schien erleichtert, sich aussprechen zu können; der Austausch wurde häufiger und die Mails länger. Zuerst stand das Bedauern, dass sie CCL verlassen hatte, mehr im Hintergrund und kam erst allmählich zutage, als sie anfing, mehr über ihr eigenes Leben zu sprechen.
Ich komme zurecht, hatte sie zuerst geschrieben, doch in ihren späteren Nachrichten nahm sie diese Lüge auseinander.
Ich hasse meine Arbeit. Den ganzen Tag gebe ich nur Zahlen ein und bekomme sehr wenig Geld für dieses Privileg. Aber ich will ja eh nichts tun. Alles kommt mir so grau und zwecklos vor. Bald werde ich dreißig, und ich habe nichts.
Diese Bemerkung – ich habe nichts – hob sich von den anderen ab und bestimmte den Tonfall der späteren Mitteilungen. Jodie schrieb, als hätte sie die meisten der für sie wichtigen Dinge im Leben aufgegeben und sei jetzt nicht sicher, ob es das für die wenigen, die noch übrigblieben, wert gewesen sei.
Unwillkürlich wand ich mich wegen Scott, als ich das las. Im Lauf der Nacht war es unvermeidlich gewesen, dass ich ihm näherkam. Ich musste mich zwingen, unparteiisch zu bleiben. Im Augenblick wollte ich auch Jodies Gefühle verstehen und mit ihr fühlen.
Und ich konnte mir vorstellen, wie ihr zumute gewesen sein musste. Die eine Nacht mit Simpson war ein schrecklicher Fehler gewesen. Ein Fehler, für dessen Überwindung sie damals wahrscheinlich alles getan hätte. Die Firma aufzugeben, muss ihr dafür wie ein relativ kleines Opfer vorgekommen sein. Doch dann verging die Zeit. Und jetzt zahlte sie noch immer dafür, obwohl ihr Fehler vergangen, vergessen und vergeben war. Wenn man etwas Wichtiges aufgibt, fehlt es einem aber jeden einzelnen Tag des Lebens, an dem man es nicht mehr hat. Da sie mit ihrer Arbeit und ihrem Leben unzufrieden war, hatte Jodie wohl das Gefühl gehabt, sie würde für ein Vergehen bestraft, das schon längst vergangen und vorbei war.
Wie geht es mit Scott?, fragte Simpson.
Dies war nur ein unwichtiger Nebensatz am Ende einer Mail, eine einfache Frage unter allen anderen. Aber Jodie schoss sich sofort darauf ein, als seien die anderen Dinge, die er schrieb, nur störendes Beiwerk gewesen, um das wirkliche Thema zu überdecken.
Vielleicht war das aus meiner Sicht nur im Nachhinein erkennbar. Wenn man zurückschaut und weiß, wie es ausgehen wird, sieht alles nach Schicksal aus.
Ihm geht’s gut, schrieb sie. Er macht einfach so weiter wie immer. Er merkt nichts. Aber ich kann mit ihm nicht darüber reden und weiß nicht, was ich sagen sollte, selbst wenn ich es könnte. Ich weiß nicht, was los ist. Es ist dumm, aber ich fühle mich überhaupt nur noch wie ein Nichts.
Das solltest du nicht sagen. Liebst du ihn?
Danach war eine Pause eingetreten. Sie hatten sich inzwischen ungefähr einmal am Tag ausgetauscht, aber es verging fast eine Woche, bevor Jodie endlich antwortete:
Ich glaube, ich liebe ihn noch. Es ist nur, sonst liebe ich einfach gar nichts. Im Moment ist mir alles viel zu langweilig. Es gibt nichts mehr in meinem Leben. Wenn sich nichts ändert, wird es ewig so weitergehen, und wenn ich daran denke, muss ich einfach ins Bett gehen oder so. Ich kann mich der Welt nicht stellen. Und wenn ich dann wieder aufstehe, ist es immer noch genauso.
Diese Nachricht war vor nicht ganz einer Woche geschickt worden. Simpsons Antwort kam am gleichen Tag:
Du klingst so unglücklich, Jodie, und das tut mir wirklich leid. Sollen wir uns mal treffen? Nur als alte Freunde, das verspreche ich dir – ich bin jetzt über all das hinweg. Du könntest vorbeikommen, ich mach uns einen Kaffee, und wir können reden. Manchmal hilft es, ein paar mitfühlenden Ohren was vorjammern zu können, und ich werde mich ehrlich bemühen, dir den bestmöglichen Rat zu geben. Ich hab keine Tagesordnung festgelegt.
Als ich dies las, bekam ich allmählich ein komisches Gefühl. Ich starrte so intensiv auf den Bildschirm, dass der alte Umkleideraum um mich herum fast versank. Mit gerunzelter Stirn lehnte ich mich zurück. Es waren nur noch ein paar weitere E-Mails zu lesen, und die erste war von Jodie.
Okay, schrieb sie. Ich glaube, ich
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