Der 50-50 Killer
waren fast schon Antiquitäten. Die Beleuchtung knisterte und flimmerte, als sei es ihr eigentlicher Daseinszweck, Insekten anzulocken und umzubringen. Keine Heizkörper, kein Tageslicht. Die Stechuhr am Morgen und wenn man nach Hause ging. Jodie betrachtete das Ganze als digitale Sklavenarbeit. Jedenfalls immer dann, wenn es ihr nicht gelang, nicht darüber nachzudenken.
Die meisten Sekretärinnen wechselten ständig – Studentinnen, die nach ein paar Wochen gingen und von anderen ersetzt wurden, die auch nicht viel länger blieben –, Michaela jedoch arbeitete jetzt schon über ein Jahr mit ihr zusammen, und sie betrachtete sie als ihre Freundin.
Umso schlechter war deshalb ihr Gewissen, dass sie ihr nicht gesagt hatte, wo sie gestern gewesen war, sondern sie angelogen hatte.
Michaela zeigte auf den Notizblock.
»Heute gehe ich.«
»Oh nein.« Jodie zog den Block weg. »Was willst du haben?«
»Dir geht’s doch nicht gut. Ich kann gern gehen.«
»Ist schon gut. Es war nur eine blöde kleine Migräne. Ist jetzt ganz weg. Siehst du?«
Jodie schüttelte den Kopf hin und her.
Siehst du? Kein Dauerschaden.
Das ältere Mädchen grinste, und Jodie fühlte sich ein bisschen besser.
Als sie heute früh zur Arbeit kam, war Michaela gleich rübergekommen und hatte sie in den Arm genommen; genauso war sie eben. Später, in der Kaffeepause, hatte sie gesagt, sie hoffe, dass Scott sich um Jodie gekümmert hätte. Jodie hätte am liebsten losgeheult. Die ganze Welt schien es darauf anzulegen, sie mit Schuldgefühlen zu beladen, dabei wäre das wahrhaftig nicht nötig gewesen.
Als sie gestern von Kevin zurückgekommen war, hatte sie ihr Bestes getan, sich so normal wie möglich zu benehmen, hatte ihre Tasche auf den Stuhl geschmissen und sich neben Scott auf die Couch plumpsen lassen. Auf dem Heimweg hatte sie versucht, sich einzureden, dass es einfach ein riesiger Fehler gewesen war, den sie hinter sich lassen und vergessen musste, um nach vorn zu schauen. Doch Scott hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Schließlich musste sie ins Schlafzimmer gehen und sich hinlegen. Sie brauchte Abstand von ihm, um nicht damit herauszuplatzen.
Das Ganze zu überschlafen hatte etwas geholfen, und sie wachte mit einem neuen Gefühl der Entschlossenheit auf. Es gab Probleme. Sie musste abwarten, bis sich die Dinge in ihrem Kopf ordneten, und dann mussten sie und Scott nachdenken und ausführlich darüber sprechen, was bei ihnen nicht gut lief. Ihre Beziehung verlief im Moment etwas unglücklich, und es war nötig, hier ein bisschen zu korrigieren. Es würden wahrscheinlich im Lauf der Zeit noch ein paar Stolpersteine im Weg sein, aber war das nicht bei allen so, die eine dauerhafte Beziehung hatten? Sie würden es schon auf die Reihe kriegen. Bald würde alles wieder im Lot sein, und das lohnte die Mühe.
In der Zwischenzeit durfte sie nicht vergessen, dass es zwar schlimm gewesen war, Scott anzulügen, aber noch schlimmer wäre es, jetzt die Wahrheit zu sagen. Allerdings war das schwierig, und sie wollte lieber eine Weile allein sein. Seit dem schlechten Gewissen bei Michaelas morgendlicher Umarmung hatte sie sich auf die Stille und das Alleinsein gefreut.
»Es macht mir wirklich nichts aus, heute mal zu gehen«, beharrte Michaela.
»Nein, lass doch, im Ernst.« Jodie dachte: Du bist einfach zu lieb. »Ich würde gern gehen. Die frische Luft wird mir die Migräneteufel schon aus dem Kopf pusten.«
Jodie hielt sich die Zeigefinger wie kleine Hörner an den Kopf und zog eine böse Grimasse.
Michaela lächelte. »Quatschkopf.«
»Ja, ja. Mach schon, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit. Was willst du haben?«
»Ich probier mal das, was du sonst nimmst. Sieht immer gut aus.«
»Ente in Hoisin-Sauce.« Jodie nickte und schrieb es auf.
»Gute Wahl.«
»Willst du Gesellschaft?« Michaela drehte sich auf ihrem Stuhl zu ihr um. »Ich könnte mitkommen.«
Jodie lächelte sie an.
»Du bist echt nett, Schätzchen.« Sie klickte die Mine ihres Kulis weg, riss den Notizzettel ab und faltete ihn zusammen. »Ich höre nur ein bisschen Musik und werde dabei an gar nichts denken. Aber trotzdem danke.«
Sie fuhr in einem der Fahrstühle im hinteren Teil des Gebäudes nach unten in die Halle.
Zehnter Stock. Zuerst holte sie den iRiver aus ihrer Handtasche. Er hatte eine Vierzig-Gigabite-Festplatte, mit momentan über fünftausend Songs. Das Gehäuse war schwarz und silbern. Wie bei allen Hightechgeräten, die ihr unterkamen, war
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