Der 50-50 Killer
Als ich ins Büro zurückkam, war der Rest des Teams bereits mit etwas anderem beschäftigt. Eine Tonaufnahme wurde abgespielt, und etwas war zu hören, das der Hölle selbst glich.
»Hörst du mir zu? Wir spielen ein Spiel, bei dem es um die Liebe geht.«
Die aufgenommene Stimme klang merkwürdig. Hauptsächlich monoton und flach, aber mit seltsamen Hebungen dazwischen, als spräche der Mann eher mit sich selbst als mit seinem Opfer und stelle sich selbst rhetorische Fragen.
»Es geht um dich und Jodie und Scott«, sagte der Mann.
Mercer schnalzte schnell mit den Fingern. Merkt euch diese Namen. Dann nahm er wieder die Stellung ein, die er innegehabt hatte, als ich hereingekommen war. Die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und die Fingerspitzen zu einem Dach aneinandergelegt, starrte er konzentriert in die Ferne und tippte mit den Zeigefingern leicht an seine Lippen. Er wirkte ruhig, doch bei uns anderen herrschte Nervosität. Simon saß ganz still da, Greg hatte den Kopf zur Seite geneigt und hörte sich mit professioneller Konzentration die Aufnahme an, Pete hatte die Augen geschlossen. Für mich fühlte sich jeder Satz an wie ein Schlag gegen die Brust.
»Ich hab dich heute beobachtet«, sagte der Mann. »Mit ihr. Und ich hab all eure E-Mails gelesen. Ich weiß, was sich hier getan hat. Und wir wissen beide, wo sie jetzt ist, nicht wahr? Wieder bei ihrem Freund.«
Jodie, dachte ich. Schulterlanges braunes Haar. Ungefähr so alt wie ich.
»Was meinst du, wie sie sich jetzt wohl fühlt?«, sagte der Mann. »Glaubst du, sie hat ein schlechtes Gewissen, weil sie Scott belogen und den Tag mit dir verbracht hat?«
Als Antwort kam nur das plötzliche Rauschen des heißen Wassers in den Rohren des Hauses und danach ein leises Schwappen in der Badewanne. Simpson antwortete nicht hörbar.
Ich sah ihn vor mir, wie er in der Wanne lag, mit einem Klebeband um das blasse Gesicht.
»Ist sie froh, zu Hause zu sein?«, fuhr die Stimme fort.
»Oder wünscht sie, sie wäre noch hier bei dir? Schreibt sie gerade eine E-Mail an dich, so wie du an sie geschrieben hast?«
Mercer sah zu uns herüber. »Greg?«
Greg schüttelte den Kopf. »Keine alten E-Mails von oder an ›Jodie‹. Kein ›Scott‹. Auch nichts in seinem Adressbuch. Der Täter muss alles gelöscht haben.«
Mercer runzelte die Stirn. Ich sah, dass er unter dem Tisch ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden klopfte.
Auf der Aufnahme sagte der Mann: »Ich glaube, du liebst sie.«
Nichts.
»Etwa nicht?«
Immer noch keine Antwort, diesmal nicht einmal ein Plätschern des Badewassers. Als der Mann weitersprach, klang seine Stimme enttäuscht, dass er keinerlei Reaktion bekommen hatte.
»Na ja, das werden wir herausfinden. Die Spielregeln sind sehr einfach, aber du wirst nicht viel dazu beitragen können. Wenn Jodie dir vor Tagesanbruch eine E-Mail schickt, höre ich auf, dir wehzutun, und lasse dich gehen. Aber wenn sie das nicht tut …«
Kurze Pause, dann folgte ein Quietschen. Ich hatte den Eindruck, dass sich der Mann umdrehte, um etwas aufzuheben.
»… schütte ich dir das in den Hals und übers Gesicht und zünde dich an. Nick mit dem Kopf, wenn du kapiert hast.« Wieder eine Pause.
»Ich hab gesagt, du sollst nicken, wenn du’s kapiert hast.« Simpson begann, sich in der Wanne hin und her zu werfen, und Wasser platschte nach allen Seiten. Ich konnte es nicht sehen, aber irgendwie wusste ich, dass der Killer ihn mit Benzin bespritzt hatte, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen.
»So ist es gut.«
Noch ein Quietschen.
»Versuch, ruhig zu bleiben. Wir haben so viel zu besprechen.«
Die Aufnahme lief noch einen Moment weiter und brach dann ab.
Greg wandte sich an mich.
»Mein Team hat sich Simpsons Computer vorgenommen«, erklärte er. »Sie haben zwei neue Audiodateien auf dem Desktop gefunden. Das hier war die erste.«
»Spiel die zweite ab«, sagte Mercer leise.
Wir schauten alle zu ihm hinüber. Er hatte jetzt den Kopf gesenkt, so dass seine Hände seinen Gesichtsausdruck verbargen. Sein Fuß wippte nicht mehr. Es gab hier nichts, weshalb man ungeduldig werden müsste. Er wusste, was wahrscheinlich auf der zweiten Datei war, wir alle wussten es, aber trotzdem mussten wir sicher sein. CCL hatte den Anruf nicht aufgenommen, den sie heute früh erhalten hatten, den mit den entsetzlichen Schreien, aber mir war klar, dass wir sie wahrscheinlich gleich selbst hören würden. Und so etwas zu hören war kein
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