Der 50-50 Killer
einem Punkt zum nächsten verlaufen. Der Mann hatte noch einmal angehalten und das Kind aus dem Wagen geschafft. Nach einer kurzen Fahrt hatten sie geparkt. Als er die hinteren Türen öffnete, befanden sie sich auf einer Straße am Waldrand.
»Wenn ihr weglauft«, sagte er, »töte ich den, der am langsamsten rennt.«
Es war fast unwirklich gewesen. Er stand im frühen Abendlicht auf einer sonst vielbefahrenen Straße, trug eine Teufelsmaske und hielt in der Hand ein Messer mit einer langen, grausam dünnen Klinge. Ihre Hände waren vor ihrem Körper fixiert. Die Szene war eindeutig. Doch es waren die ganze Zeit keine Autos vorbeigekommen. »Wir gehen dort rein.« Er wies auf einen Weg in den Wald, und sie dachte an die Möglichkeiten. Er konnte sie nicht beide endlos unter Kontrolle behalten. Es würde irgendeine Chance geben. Es musste eine geben. Doch dann hatte er die Tüte über Scotts Kopf festgebunden, ließ ihn vorangehen und ging selbst dicht hinter dem Paar her. Und da hatte es überhaupt keine Gelegenheit mehr gegeben. Da war nichts gewesen …
Scott ging unsicher vor ihr her und stolperte. Sie hatte genug Zeit, um es zu sehen, als es passierte, aber nicht genug, es zu verhindern. Als sie die Hand ausstreckte – »Achtung« –, rutschten ihm die Füße weg, und er fiel hin. Schlamm und Blätter spritzten vor ihm nach allen Seiten.
»Scheiße.«
Ein Stein flog nach rechts und polterte den Hang hinunter. Er rollte schnell, traf laut wie ein Schuss auf einen Baum und blieb dann noch weiter unten an einer Reihe alter Steine liegen. Es gab viele davon in diesem Wald, sie ragten aus der Erde wie riesige, halb begrabene Kieferknochen. Alte Gebäude, die meisten davon in Trümmern.
Sie kauerte sich neben Scott hin.
»Alles klar, Schatz? Bist du verletzt?«
Er schüttelte den Kopf so gut er konnte, sagte aber nichts. Sie hörte, wie er unter der Tüte weinte.
»Komm, Liebling. Wir schaffen das schon.«
Sie half ihm auf die Beine und drängte das Verlangen zurück, mit ihm zu weinen. Das war im Moment nicht das Richtige. Nur einer von ihnen konnte weinen. Verzweiflung, Panik und Angst zu fühlen war akzeptabel, solange wenigstens einer von ihnen für den anderen stark blieb. Das konnte jetzt sie sein. Das konnte sie tun.
Als sie sich mühsam wieder aufrichteten, half ihnen der Mann nicht. Er stand nur in einiger Entfernung da und sah ihnen hinter dieser unergründlichen Scheiß maske zu. In der einen Hand das Messer, die andere am Schulterriemen der Tasche, die er mitgebracht hatte. Eine Weile hatte sie sich gefragt, was er wohl in dieser Tasche hatte. Doch die Stimme wies sie an, sie solle damit aufhören.
»Seid vorsichtig«, sagte er. »Und seid still. Es gibt Leute hier in diesem Wald, die werden euch noch viel länger wehtun als ich.«
Jodie wischte den Schlamm von Scotts Mantel, aber es ging nicht. Der Dreck war jetzt noch auf dem Ärmel verteilt und hatte ihre Hände schmutzig gemacht.
Der Mann hatte natürlich recht, und er brauchte sie nicht daran zu erinnern, es gab so viele Geschichten über diese Gegend hier. Es war ein gefährliches Gebiet, und soweit sie es einschätzen konnte, waren sie jetzt weit abseits von der Straße. Ihre Phantasie bedrängte sie mit Bildern. Wie sie beide an Bäumen festgebunden waren. Blut auf dem Boden im Dreck. Ihre Leichen im Frühjahr, braun und ausgetrocknet wie ein Strick.
Selbst wenn es hier tatsächlich böse Menschen gab, schien der Mann nicht besonders besorgt. Aber er hatte ja auch ein Teufelsgesicht und ein Messer und Gott weiß was sonst noch. Er bewegte sich, als gehöre er hierher, in diesen Wald. Sie konnte sich jedenfalls niemanden oder nichts Schrecklicheres vorstellen, was sich hier jetzt herumtreiben könnte. Er winkte mit dem Messer. Weitergehen.
Sie gingen wieder los.
Du hast keine Angst, sagte die Stimme zu Jodie, aber diesmal hatte sie unrecht. Sie hatte Angst, und nicht nur vor dem Mann und seinem Messer und was immer er sonst noch in der Tasche hatte. Sie mochte so viele Beobachtungen anstellen, wie sie wollte, aber Tatsache war doch, dass sie direkt ins Innere dieser Wälder gingen, an einen Ort, wohin dieser Mann sie bringen wollte. Er kannte die Wege und die Gefahren und Fallen, die er vermeiden musste. Er war hier ganz zu Hause. Wohingegen Jodie sich noch nie so vollkommen allein gefühlt hatte, so weit weg von allem, was sie kannte.
Ihre Gedanken wichen der Stimme aus, statt ihren Versuchen, sie zu trösten, zuzuhören, dachte
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