Der 7. Lehrling (German Edition)
unsicher ihre Lehrerin. Sie waren auf dem Weg vom Speisesaal in die Bibliothek.
Amina hatte vor lauter Aufregung so gut wie nicht geschlafen. Jetzt fühlte sie sich wie gerädert. Beim Frühstück hatte sie kaum einen Bissen angerührt, obwohl der Koch, der wusste, was sie heute leisten sollte, ihr extra eine Portion Rührei mit frischem Schnittlauch gemacht hatte – ein Essen, von dem normalerweise kein Krümelchen übrig blieb.
„Wenn Du es nicht schaffst, muss York es eben auf einem anderen Weg probieren“, antwortete Linnea. „Niemand erwartet Unmögliches von Dir. Also bleib ganz ruhig und versuch es einfach. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.“
In der Bibliothek wurden sie erfreut begrüßt. Fast alle waren schon um den Tisch versammelt. Als ein paar Minuten später die Letzten eingetroffen waren, nahmen die
Vierzehn
um den Tisch herum Platz.
Korbinian ergriff das Wort. „Meine Lieben, ihr – und besonders Amina – habt heute eine schwierige Aufgabe vor euch. Ich wünsche euch viel Erfolg bei dieser außergewöhnlichen Suche. Es könnte eine kleine Weile dauern, gebt also Amina bitte so viel Kraft, wie sie braucht. Und Du“, fuhr er an Amina gerichtet fort, „versuchst es einfach. Wenn es nicht funktioniert, ist es nicht schlimm – schließlich wurde so etwas noch nie ausprobiert! In Ordnung?“ Amina nickte schon ein wenig zuversichtlicher. Korbinian räusperte sich und hob die Hand. „Und jetzt schließt bitte den Kreis.“
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Wie ihr aufgetragen war, suchte Amina zuerst nach York. Sie fand ihn schlafend in einem gut getarnten Versteck. Zuerst dachte York, er habe einen Traum, aber dann wachte er auf.
Oh Mann, wie spät ist es?
Etwa acht Uhr, Schlafmütze.
Von wegen Schlafmütze. Ich habe die ganze Nacht versucht, in das Lager zu kommen, aber ich hatte keine Chance. Die Krieger lagern in einem großen Kreis um die Gefangenen herum. Zwischen den Zelten patrouillieren die ganze Zeit Wachen. Da war kein Durchkommen.
Bist Du verrückt? Du solltest doch nur dann näher an die
Horden
heran, wenn mein Versuch heute nicht klappt!
Naja, ich hätte Dir halt das Ergebnis gern jetzt schon präsentiert. Aber sei’s drum. Vielleicht lässt Du mir ja noch eine Gelegenheit,
neckte er Amina.
Hör zu, ich bin auch so schon nervös genug, also spar Dir Deine schlauen Bemerkungen!
, antwortete Amina gereizt.
Sind die Krieger noch da?
Warte
, antwortete York, löste sich ein wenig aus dem Kontakt und schaute zu einer Stelle hinüber, an der bei Morgengrauen noch ein Zelt gestanden hatte.
Nein, sie sind bereits aufgebrochen. Aber weit können sie noch nicht sein. Ich habe mich erst schlafen gelegt, als es hell wurde, also haben sie vielleicht drei Stunden Vorsprung. Hast Du den Straßenverlauf im Kopf?
Ja, er ist recht einfach zu merken. Wann brichst Du auf?
Tja, da ich jetzt wach bin, werde ich mich wohl gleich auf die Socken machen. Wird ein wenig dauern, aber ich bin bestimmt bald wieder an ihnen dran. Mit den Ochsenkarren sind sie nicht sehr schnell.
Danke, ich melde mich nachher noch einmal.
Ist gut. Viel Glück!
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Amina flog in Gedanken langsam nach Nordwesten über die Straße nach Treer. Da sie die Unterstützung der anderen dreizehn hatte, fiel es ihr nicht schwer, etwas mehr von der Umgebung in sich aufzunehmen, als sie es sonst getan hätte. So konnte sie sich besser orientieren. Das Gemisch aus ihrer eigenen Vorstellung und der realen Welt flog in nebligen Schleiern unter ihr entlang.
Sie war schon weit über eine Stunde unterwegs und wollte fast umkehren, als sie vor sich eine Menschengruppe auf der Straße mehr spürte als sah. Das mussten die
Horden
sein, aber sie waren viel weiter von ihrem Nachtlager entfernt, als York geschätzt hatte. Langsam sank sie tiefer. In unscharfen Konturen, die zwar schwierig zu erfassen waren, aber viel Kraft sparten, sah sie achtzehn Reiter. Sie konzentrierte sich etwas mehr auf eine der Personen und konnte seine Lederrüstung und den langen Zopf erkennen: eindeutig ein Krieger der
Horden
! Sicher die Nachhut!
Nun konnte es nicht mehr weit sein! Amina spürte zwar, wie die Kräfte der
Vierzehn
langsam nachließen, aber jetzt durften sie auf keinen Fall aufgeben! Sie ließ sich weiter nach Nordwesten treiben und verringerte dabei die Konzentration so weit, dass sie gerade noch Kontakt zur realen Welt hatte. Nach einigen Minuten fühlte sie wieder etwas vor sich im Nebel. Sie verstärkte ihre Wahrnehmung wieder und wusste
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