Der 7. Lehrling (German Edition)
Befreiung.
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Die Spitze der Streitmacht hatte den Pass erreicht und wurde von den Reitern der Vorhut in Empfang genommen. Der Anführer der
Horden
befand sich genau unter Meara und ließ seinen Blick über das Land nördlich der Berge schweifen. Er streckte seinen Arm in Richtung Enden aus und fragte den Anführer der Vorhut etwas in seiner unverständlichen Sprache. Dieser gestikulierte ein wenig und hielt am Ende den Zeigefinger der rechten Hand nach oben, während er mit der flachen linken Hand wackelte.
Meara verstand: Der Anführer wollte von der Vorhut wissen, wie weit es noch nach Enden war, und sein Späher hatte ihm berichtet, dass die Stadt noch ungefähr einen Tag entfernt lag.
Offenbar war der Anführer der
Horden
zufrieden, denn er nickte der Vorhut zu. Die Krieger verneigten sich zum Dank, warfen sich wieder auf ihre kleinen Pferde und sprengten in dem gleichen halsbrecherischen Tempo den Berg hinab wie vorgestern, als Meara ihnen fast in die Hände gefallen wäre. Nach einem kurzen Moment waren sie verschwunden.
Einen kleinen Augenblick noch betrachtete der Anführer die Landschaft vor sich, dann hob er die Hand, ohne sich zu seinen Kriegern umzudrehen, und senkte sie nach vorn. Es ging weiter.
Die Disziplin des Heeres nahm Meara genauso gefangen wie jedermann sonst, dem vor ihr das zweifelhafte Vergnügen zuteil geworden war, den
Horden
beim Marsch zuzusehen. Es war schlicht beeindruckend, und in Meara kam langsam die Erkenntnis auf, wie diese Krieger es immer wieder geschafft hatten, auch gegen eine Überzahl an Verteidigern zu siegen.
Dann erschauerte sie plötzlich bis ins Mark: Das war dieselbe Streitmacht, mit der sie sich zur Befreiung Quentins anlegen wollten!
Entdeckung, Enttäuschung und Erntefeste
Quentin fühlte sich plötzlich beobachtet, so wie damals, als Amina zum ersten Mal mit ihm in Kontakt getreten war. Konnte es sein, dass Magier in ihrer Nähe waren? Kam jetzt die Befreiung?
Vorsichtig spähte er um sich, aber er konnte nichts entdecken. Die Felsen boten keinen Schutz für so viele Leute, wie notwendig gewesen wären, um die
Horden
zu überfallen. Trotzdem suchte er vorsichtig weiter.
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Meara hatte ebenfalls gespürt, dass ein Magier in der Nähe war. Das Gefühl wurde langsam stärker, also war er noch nicht unter ihr durchgekommen. Aufgeregt überlegte sie, ob sie ihn vielleicht sehen würde, aber sie konnte sich schon wegen ihrer blonden Haare nicht zu weit vorwagen. Die Gefahr, dass sie entdeckt würde, war viel zu groß.
Dann fiel ihr Blick eher zufällig auf ihren Beutel, aus dem ihre graue Decke herausschaute. Meara hatte eine Idee.
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Quentin suchte und suchte. Zwischendurch blickte er sich immer wieder nach ihren Bewachern um, aber die konnten im Moment nicht neben ihnen patrouillieren, weil der Pass zu schmal war. Höher und höher wanderte sein suchender Blick die Felsen empor, aber er konnte nichts entdecken.
Dann plötzlich glaubte er eine Bewegung gesehen zu haben. Rasch sah er sich noch einmal nach den Bewachern um, aber die waren im Moment mit anderen Dingen beschäftigt und beachteten ihn nicht. Langsam wandte er seinen Kopf noch einmal der Stelle zu, an der ihm eben etwas aufgefallen war – und schaute in zwei wunderschöne graue Augen, die ihn unter etwas wie einer Kapuze hervor aufmerksam anschauten. Langsam legte sich ein feiner Zeigefinger auf sanft geschwungene Lippen. Dann noch ein schelmisches Zwinkern, und das Gesicht war wieder verschwunden.
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Quentins Herz schlug ihm bis zum Hals. Das war das schönste Gesicht, das er in seinem ganzen Leben gesehen hatte! Eine kleine flachsblonde Haarsträhne hatte sich unter der grauen Kapuze hervorgestohlen und ihr in die Stirn gehangen. Ihr Bild blieb sekundenlang vor seinem jungenhaft verliebten geistigen Auge hängen, bis ihm plötzlich klar wurde, wer oder vielmehr
was
diese Frau war und warum sie sich vermutlich da oben versteckte. Quentin schüttelte den Kopf und rieb sich mit den gefesselten Händen die Augen, um wieder zu klarem Verstand zu kommen. Rasch wandte er sich seinem Lehrmeister zu.
„Meister, ich habe eine von ihnen gesehen!“, zischte er leise zu Falk hinüber.
Falk war sofort aufmerksam. „Wo?“
„Oben auf den Felsen, sie hat heruntergeschaut und mich beobachtet. Dann hat sie einen Finger auf die Lippen gelegt und ist wieder verschwunden.“
„Hast Du noch mehr gesehen?“
„Nein, das war alles.“
„Glaubst Du, dass sie allein
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