Der 7. Tag (German Edition)
zustach
schrie ich dabei: Ich bringe dich um, ich bringe dich um, ich bringe dich um.
17-mal habe ich zugestochen, dann habe ich den Bären auf den Rücken gedreht und
noch mal zugestochen. Dafür, dass du mir in den Rücken gefallen bist.“ Damit
noch nicht genug, ich habe das Messer genommen und versucht, dem Bären damit
den Kopf abzuschneiden. Ich habe mich aufgeführt wie eine Wahnsinnige. Dann bin
ich heulend über dem Tisch zusammengebrochen.
„Ich bringe ihn um“,
schluchzte ich.
Gabi hat mir drei Valium
gegeben und mich ins Bett verfrachtet. Sie hat Ulli nach Hause geschickt und
ist über Nacht bei mir geblieben.
Am nächsten Morgen hat sie
mir Frühstück ans Bett gebracht und mir ins Gewissen geredet.
„Bille, du hast viel zu
erledigen. Du wirst gebraucht. Du musst dein Leben wieder in den Griff kriegen.
Trink Kaffee und steh auf. Es hilft dir keiner, wenn du dir nicht hilfst.“
Natürlich hatte Gabi Recht.
Noch unter der Wirkung des Valiums bin ich unter die Dusche gestiegen. Das
Wasser machte mich ein bisschen wacher. Und dann merkte ich, dass ich wieder
etwas fühlte. Etwas, das stärker war als alle Trauer, als alle Verzweiflung,
als alles Selbstmitleid: Hass.
Der Hass hat mir geholfen.
Ich habe beschlossen, an jenem Morgen nach dem Tod meiner Mutter, meinen
Ehemann Michael Thalheim, sollte er mir jemals wieder in die Quere kommen,
umzubringen. Soweit musste es erst kommen, bis ich anfing zu handeln.
Ich habe meine Mutter an
einem nieseligen, kalten Märztag 2008 auf dem Waldfriedhof begraben. Alleine.
Am liebsten hätte ich mich zu ihr ins Grab gelegt. Der Pfarrer hat ein Gebet
gesprochen und ich habe einen Schwur geleistet. Am Grab meiner Mutter habe ich geschworen,
dass ich das Unheil, das über uns gebracht worden ist, rächen werde. Erst nach
der Beerdigung habe ich ihre Freunde und Verwandten benachrichtigt. Verzeih‘
mir Mutti, du hättest ein besseres Begräbnis verdient. Aber ich hätte sie nicht
ertragen. Ich fühlte mich so gottverdammt schuldig.
Ich habe Muttis Hausstand
aufgelöst. Auf der Erde sitzend habe ich ihre Fotos und Sachen sortiert. Mein
ganzes glückliches Leben habe ich in Muttis Wohnung gefunden. Die behütete
Kindheit in unserem kleinen Dahlemer Haus, das mir immer vorgekommen war wie
eine Trutzburg. Fotos von meinem schönen Vater, der mich auf der Schaukel unter
dem Apfelbaum wiegt. Fotos von meiner Einschulung: ein quengelndes
braungelocktes Teufelchen, das eine Schultüte hält und die stolzen Eltern
dahinter. Fotos von herrlichen Sommertagen mit meiner Mutter im Strandbad
Wannsee. Ganze Alben mit den Reisen, die ich zusammen mit meinen Eltern machen
durfte: Österreich, Spanien, Italien, USA, Südamerika.
Danach habe ich mich
auf die Suche nach einer kleinen Wohnung begeben. Ich habe dort eine gefunden,
wo man nicht viel fragt. In Berlin-Neukölln, im Hinterhaus, eineinhalb dunkle
Zimmer, verwohnt, stinkend, verkommen. Ich nahm nur meine persönlichen Sachen
mit, transportierte Muttis Sessel, Muttis Bett, einen Tisch, einen Stuhl und
einen Schrank mit einem Mietwagen, den Gabi mir besorgte hatte, dorthin. „Hier
kannst du doch unmöglich wohnen“, sagten Gabi und Ulli, als sie mir beim Einzug
halfen.
„Es ist mir egal“, habe ich
gesagt. Was ich nicht gesagt habe, war, dass ich mich selbst bestrafen wollte.
Was ich auch nicht gesagt habe, ist, dass man als Arbeitslose mit gekündigten
Krediten und total versauter Schufa einfach keine akzeptable Wohnung bekommt.
Man nimmt, was man kriegen kann, da, wo keiner Fragen stellt. Weil die Mieten
ja sowieso irgendwann von der Jobagentur bezahlt werden.
Ich wollte nicht mehr
zurückschauen zwischen all den Dingen, mit denen Michael und ich so glücklich
gewesen waren. Ich wollte nicht jedes Mal, wenn ich in meinen Garten schaute,
in Tränen ausbrechen, weil Mutti nicht mehr sehen konnte, wie schön er geworden
war. Oder weil ich nicht wusste, wie lange ich noch in dem Haus bleiben könnte.
Ich konnte das Haus auch nicht verkaufen, der zweite Eigentümer war schließlich
verschwunden. Also habe ich einen Makler damit beauftragt, die Villa zu
vermieten. Wenigstens sparte ich in Neukölln die hohen Heiz- und Stromkosten,
die mich die Villa in Zehlendorf gekostet hätten. Ich wollte nur noch eins: Den
Scheißkerl finden, der uns das angetan hatte.
Außer den persönlichen Sachen
meiner Mutter habe ich noch ihren alten VW mitgenommen. Denn mein Firmenwagen
war weg, Michaels BMW war gepfändet, ich
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