Der 7. Tag (German Edition)
die
Jalousien herunter, denn vor unserem Haus hatten sich Fotografen und
Kamerateams postiert. Halb Berlin würde morgen hier vorbeifahren und sagen
‚Guck mal, da wohnt doch die, deren Mann mit 9,6 Millionen durchgebrannt ist.“
Was die Nachbarn tuscheln würden, wagte ich mir nicht mal auszudenken.
Ich konnte nichts mehr essen.
Aus dem Spiegel schauten mich riesige Augen an, die in tiefen Höhlen zu liegen
schienen. Weinen konnte ich nicht mehr, ich hatte mir schon die Augen
ausgeheult.
Am Nachmittag bekam ich
heftige Bauchschmerzen. „Das kommt davon, dass du nichts isst, Bille“, sagte
meine Mutter. Sie versuchte mir eine Suppe einzuflößen. Am frühen Abend bekam
ich dann erste Blutungen. „Oh Gott, mein Baby!“ Ich war völlig hysterisch.
Mutti zwang mich ins Bett, legte mir eine Wärmflasche auf den Bauch und rief
Gabi an. Gabi sei mit ihren Zwillingen unterwegs, sagte ihr französisches
Au-pair-Mädchen. Wenn Gabi mit ihren Kindern zugange war, schaltete sie
grundsätzlich das Handy aus.
Ich bekam heftige Krämpfe.
„Bitte, bitte lieber Gott, “
betete ich, “lass mir wenigstens mein Kind.“
Die Krämpfe wurden immer
schlimmer. Und dann setzte der Blutsturz ein. Mutti hat die Feuerwehr
angerufen. Sie haben mich ins Krankenhaus gefahren. Ich schrie, ich war in
Panik. Sie ließen mich eine halbe Stunde in der Notaufnahme vom Krankenhaus auf
der Liege im Vorraum warten.
Ich glaubte zu verbluten, die
Krämpfe waren nicht halb so schlimm, wie die Angst, die ich hatte. Ich lag da,
schaute in das kalte Neonlicht an der Decke, die Geräusche um mich herum, von
Hektik und Notfällen, vernahm ich, wie durch eine Wand, nur ganz leise. Das
Blut dröhnte in meinen Ohren, ich war schweißgebadet. Mutti stand hilflos neben
meiner Liege und hielt meine Hand. Immer wieder versuchte sie, einen Arzt
aufzutreiben, der sich um mich kümmern würde.
Als endlich eine junge Ärztin
für mich Zeit hatte, sagte sie: „Entschuldigung, aber wir hatten ein paar
schreckliche Unfälle.“
Sie konnte nur noch den Abort
feststellen. Ich hatte mein Baby verloren. War das kein schrecklicher Unfall?
Ich habe das ganze
Krankenhaus zusammengeschrien. Mutti versuchte mich zu beschwichtigen. Sie
kamen und gaben mir eine Beruhigungsspritze. Ich wehrte mich wie eine
Wahnsinnige.
„Lasst mich sterben, lasst
mich sterben“, rief ich immer wieder. Sie ließen mich nicht.
Mutti hat mich nach Hause
gebracht. Ihr liefen die Tränen über das Gesicht, sie hat versucht, es vor mir
zu verbergen. Sie hatte sich so sehr darauf gefreut, Oma zu werden. Mutti hat
immer wieder meine Hand genommen, sie gestreichelt. Ich fühlte gar nichts.
Meine Mutter hat mich ins Bett gebracht, wie ein Kind mit Grippe. Sie hat einen
heißen Tee gekocht, sich an mein Bett gesetzt und ihn mir eingeflößt. Ich habe
meinen Kopf in ihren Schoss gelegt und bin vor Erschöpfung eingeschlafen. Mutti
ist die ganze Nacht bei mir geblieben.
Sie haben mir keine Chance
gegeben. Von jetzt an wurde ich belagert. Polizisten durchsuchten unser Haus.
Ich lag auf der Couch und schaute hilflos zu, wie sie jeden Winkel unserer
Villa durchstöberten. Was suchten sie eigentlich? Etwa Einzahlungsquittungen
eines Schweizer Nummernkontos? Michael, dachte ich immer wieder. Michael, bitte
komm und hilf‘ mir. Ich war nie gläubig gewesen. Aber ich flehte den lieben
Gott an, mir mein Baby zurückzugeben, meinen Mann, mein Leben. Ich war 36 Jahre
alt. Ich würde nie wieder ein Baby bekommen von dem Mann, den ich liebte, nie
wieder, nie wieder. Zu spät.
Ich hatte keine Tränen mehr.
Wenn man nicht mehr weinen kann, ist die Welt grau. Sie hat keine Düfte mehr,
keine Farben. Die Stimmen der Menschen klingen wie durch Watte gedämpft. Sie
erreichten mich nicht. Und die Gedanken, die sich gedreht haben, die
Überlegungen, was passiert sein könnte, standen einfach still. Ich war wie
gelähmt.
Sie haben mich wohl hundertmal
vernommen. Da war dieser Polizist. Herr Warnke. Ich habe den Zweifel in seinen
Augen gesehen. Aber ich wusste nichts. Gar nichts. Offensichtlich haben sie
auch meine Telefone abgehört und meine Post gelesen. Sie haben sich nicht
einmal die Mühe gemacht, es zu verbergen. Ein Jahr später habe ich vom
Staatsanwalt ein Schreiben bekommen, in dem sie mir mitteilten, dass die Überwachung
meiner Post und meiner Telefone abgeschlossen sei. So haben Sie auch meine
schriftliche Kündigung, die mir per Einschreiben zugestellt wurde, gelesen.
Ich habe den
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