Der 7. Tag (German Edition)
mir
herumgesprochen. Eins stand fest, ich musste sofort nach Mahlow. So schnell
habe ich mich noch nie angezogen. Der Kater war vergessen. Dann habe ich ein
paar Klamotten in eine Tasche gepackt, eine Zahnbürste, Kamm, Seife und - ein
Küchenmesser. Ich setzte mich zitternd in Muttis VW und fuhr los.
Cosmos Ausgabe 5/2000
Sybille Thalheim – Meine Geschichte
4. Teil: Wiedersehen in Mahlow
Endlich hatte ich eine Spur.
Sie führte nach Mahlow. Michaels ehemalige Sekretärin meinte, ihn dort in einer
Eisdiele gesehen zu haben. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie ich ihn dort finden
sollte, aber ich war sicher: Sollte Michael in Mahlow sein, dann würde ich ihn
finden. Und ihn töten.
Ein Blick in die Landkarte
sagte mir, dass es sich bei Mahlow um eine Stadt direkt an der Grenze zu
Berlin-Lichtenrade handelt. Ganz in der Nähe vom Flughafen Schönefeld.
Man kann ein ganzes Leben in
Berlin leben, ohne einmal in Lichtenrade gewesen zu sein. Für mich liegt
Berlin-Lichtenrade sozusagen am anderen Ende der Stadt, obwohl das eigentlich
nicht stimmt.
Ich fuhr also über die
Stadtautobahn. Dabei habe ich so gezittert, dass ich einige Beinahe-Unfälle
gebaut habe. Aber Gott schützt die Kinder und die Betrunkenen.
Immer wieder sagte ich mir,
dass Rita sich geirrt haben muss. Wer 9,6 Millionen Mandantengelder geklaut
hat, wer international mit Haftbefehl gesucht wird, wer seine Familie zu
Gunsten von was auch immer aufgegeben hat, der steht nicht in Mahlow in irgendwelchen
obskuren Kneipen herum und lutscht Eis. Der liegt irgendwo auf einem Schiff und
lässt sich den Bauch grillen. Trotzdem, es war die erste Spur seit über
eineinhalb Jahren.
Nur am Ortsschild habe ich
gemerkt, wo Mahlow anfängt. Der Tag entsprach meiner Stimmung: düster und kalt.
Ein leichter Nieselregen nahm mir fast die Sicht. Ich fuhr einmal durch den
ganzen Ort und sah – natürlich nichts. Bei dem nasskalten Wetter waren so gut
wie keine Menschen auf der Straße. Fast wäre ich vorbeigefahren. Ich machte
eine Vollbremsung, denn im linken Augenwinkel hatte ich etwas gesehen, was
aussah wie „Villa Venetia – Eisdiele“. Na ja, sagte ich mir, soviele Eisdielen
wird es in Mahlow wohl kaum geben. Ich parkte Muttis Auto und ging zögernd
hinein. Drinnen war es rauchig, die Fenster waren beschlagen, es roch nicht
gut. Außerdem war der „Salon“ leer. Hinter dem Tresen stand eine hässliche,
dicke Frau. Ich bestellte Kaffee. Sie servierte ihn, aufreizend langsam und
geistig abwesend. Ob sie denn gestern Dienst gehabt hätte, fragte ich sie. Nee.
Wer denn gestern Dienst gehabt hätte? Der Chef, wer sonst. Wann kommt der Chef?
„Morgen.“ Aha.
Ich trank den abgestandenen Kaffee
und überlegte, was ich tun sollte. Sicher gab es hier ein Hotel. Ich bezahlte
die Plörre und stieg wieder in den VW. Die Alte hinter dem Tresen wollte ich
lieber nicht nach einem Hotel fragen. Dann lieber rumfahren.
Ich fuhr also ziellos durch
die Straßen von Mahlow: Wie in unserer Gegend üblich, sind die meisten Häuser
grau oder braun. Aber es gibt eine Menge wirklich schöner alter Villen.
Dazwischen immer wieder neue Fertighäuser. Und plötzlich sah ich ihn. Da stand
ein Mann, der von hinten aussah wie Michael. Fast hätte ich wieder eine
Vollbremsung gemacht. Nein, dachte ich mir, diesmal nicht. Ich betätigte den
Winker und wendete. Der Mann drehte sich um und starrte mir direkt ins Gesicht.
Nein, dachte ich enttäuscht, das ist nicht Michael. Ich fuhr an den Straßenrand
und zündete mir erst mal eine Zigarette an. Mein Herz klopfte wie wild. Meine
Hände zitterten. Ich öffnete das Fenster und atmete durch. Entspann dich, sagte
ich mir selbst. Du fängst an, weiße Mäuse zu sehen. Als ich die Kippe entsorgt
hatte, fuhr ich weiter. Irgendwo hier musste es doch ein Hotel geben. Und dann
sah ich den Schriftzug: Hotel zur Post. Na also. Ich versuchte gerade den Wagen
auf der Kiesauffahrt zu parken, als ein Mann das Hotel verließ. Mir blieb das
Herz stehen. Jedenfalls hörte ich auf zu atmen. Es war Michael. Ganz eindeutig
Michael. Er trug, genau wie Rita gesagt hatte, längere braune Haare und keine
Brille. Aber die Bewegungen, sein eigentümlicher Gang, bei dem er immer eine
Schulter so merkwürdig vorschob, sein Profil, die Lachfältchen, all das war
Michael. Was sollte ich tun? Ihm folgen? Oder herausbekommen, ob er im Hotel
wohnte? Michael war nicht in ein Auto gestiegen, sondern hatte sich zu Fuß auf
seinen Weg gemacht. Okay, dachte ich
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