Der 7. Tag (German Edition)
Geständnis,
sie haben doch das Messer mit meinen Fingerabdrücken und die Klamotten, reicht
das nicht?“
„Schlimm genug, Bille. Woran
kannst du dich erinnern?“
„Daran, dass ich versucht
habe, zu Abend zu essen, vier Bier und zwei Schnäpse getrunken habe und schlafen
gegangen bin. Und dass ich Michael gefunden habe. Dass ich heute als Kurier in
sein Hotelzimmer eindringen und ihn zur Rede stellen wollte. Aber ich habe es
nicht getan Ulli, glaub‘ mir.“
„Bille, das mit dem Kurier
und deinem Plan, das behalte um Gottes Willen für dich. Antworte nur in Bezug
auf das, was du getan hast und woran du dich erinnerst. Alles andere geht
keinen was an.“
„Ulli, ich will wissen, wie
sie auf mich so schnell gekommen sind“, sagte ich.
„Das kriegen wir raus.“
Sie haben mich stundenlang
vernommen. Ulli hat dabei gesessen und ab und zu den Kopf geschüttelt. Ab und
zu hat er eine Frage zurückgewiesen. Aber was sollte ich den Leuten auch sagen,
ich wusste ja nichts.
Später habe ich erfahren, wie
sie so schnell auf mich gekommen waren. Das Zimmermädchen hatte Michael
gefunden, sein Hotelzimmer war nicht abgeschlossen. Sie hatte die Polizei
gerufen. Und die hatte bei Michael zwei Pässe gefunden, einer lautete auf den
Namen Michael Thalheim, der andere auf den Namen Markus Thanner. Und sie haben
die Anrufe im Hotel zurückverfolgt. Das war einfach, das Hotel hat die
eingehenden Anrufe gespeichert. So kamen sie auf mein Hotel. Bei dem Namen
Thalheim klingelten dann die Alarmglocken. Es war wirklich ganz einfach
gewesen. Die Polizei konnte sich gratulieren, so schnell hatten sie wohl selten
einen Mord aufgeklärt.
So genau kann ich mich nicht
mehr an die vielen Vernehmungen erinnern. Ich habe gebetsmühlenartig immer
wieder gesagt, ich sei es nicht gewesen. Wenn ich dann in meiner Zelle lag,
haben die Gedanken sich überschlagen. Hatte ich einfach einen Blackout gehabt?
Hatte ich es nicht mehr aushalten und war noch am gleichen Abend zu Michael
gefahren? Mein Gedächtnis schüttelte nur den Kopf.
Erst ganz langsam wurde mir
bewusst, dass Michael tot war. Was fühlte ich dabei? Kaum zu glauben, aber
wahr: Trauer.
Trauer, weil ich immer noch
nicht wusste, was mit uns passiert war. Trauer um die wunderschönen Jahre, die
wir gemeinsam erlebt haben und die nun endgültig vorbei waren. Trauer darüber,
dass ich, nun fast 38 Jahre alt, Witwe war. Trauer, dass es für mich zu spät
war. Zu spät, um noch einmal von vorn anfangen zu können. Ich würde nie mehr
vorbehaltlos lieben können, nie mehr vertrauen können. Und nie wieder ein Kind
von ihm haben können.
Nein, Angst hatte ich nicht.
Was sollte mir schon passieren, was mir noch nicht passiert war? Denn jede
Zelle eines Gefängnisses ist angenehmer, als die Wochen, die ich in unserer
Villa in Zehlendorf allein und verzweifelt herumgetigert bin, wartend auf
Michael, auf eine Nachricht, auf eine Antwort. Keine Strafe dieser Welt kann
größer sein, als das Kind zu verlieren, das man sich so sehnlichst gewünscht
hat. Und kein Richter dieser Welt würde mich schuldiger sprechen, als ich mich
schuldig fühlte am Tod meiner geliebten Mutter. Meine Trauer um Michael saß wie
ein Kloß in meiner Kehle. War es denn möglich, dass ich nach allem, was ich
erlebt hatte, immer noch so etwas wie Liebe zu diesem Mann gefühlt hatte? Ich hatte
so viele Fragen und bekam keine Antworten. Was hatte Michael in Mahlow gemacht?
Darum kümmerte sich keiner. Warum auch?
Cosmos – Ausgabe 7/2000
Sybille Thalheim – Meine Geschichte -
6. Teil: Vor Gericht
U-Haft in Berlin-Pankow.
Nicht gerade das Ritz-Carlton, aber doch erstaunlich komfortabel. Ich war in
einer Gruppe mit elf Frauen untergebracht. Jede hatte ein Einzelzimmer mit
einem extra eingebauten Bad mit WC.
Am Anfang habe ich mich gegen
meine Mitgefangenen abgeschottet. Nein, ich war keine von ihnen, das ließen wir
uns gegenseitig spüren. Also lag ich auch tagsüber auf meinem Bett, starrte die
Einbauwand an und grübelte über immer die gleiche Frage: Habe ich Michael
getötet?
Aber auf Dauer hält man das
nicht aus. Also suchte ich tagsüber die Gemeinschaftsräume auf, kochte mit den
Frauen, backte Kuchen und schaute gemeinsam mit den anderen Krimis im Fernsehen
an. Außerdem durften wir arbeiten: Ich habe mit Begeisterung Tüten für eine
Parfümerie-Kette geklebt.
Und so habe ich gemerkt, dass
ich doch eine von ihnen war. Genauso verzweifelt, genauso verletzt und genauso
unfähig, meine
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