Der 7. Tag (German Edition)
nachzudenken. Ich rauchte eine Marlboro nach
der anderen, bis sich mein Magen meldete. Ich hatte überhaupt nichts gegessen
an diesem Tag.
Außer einem Glas Wasser am
Morgen und einem lauwarmen Muckefuck in der Eisdiele hatte ich nichts im Magen.
Sie hatten unten eine Gaststube. Ich kämmte mir die Haare, draußen begann es
dunkel zu werden. Aber vorher würde ich die Zimmernummer herausbekommen. Also
rief ich nochmals im Hotel zur Post an. Eine andere, eine männliche Stimme
meldete sich.
„Hier Büro Sucker“, sagte
ich. Herr Thanner erwartet von uns Morgen eine dringende Lieferung, die ihm
persönlich ausgehändigt werden muss. Darf ich Sie nach seiner Zimmernummer
fragen, damit ich sie auf die Sendung schreiben kann?“
„Moment“, nuschelte der Mann
an der Rezeption. Man hörte ihn in einem Buch blättern. „Zimmer 43“.
„Danke schön.“
So einfach war das also. Ich
ging in die Gaststube, die halb leer war. Der Platz hinten in der Ecke erschien
mir der beste. Ich bestellte ein Bier und einen Ratsherrentopf und starrte aus
dem Fenster. Morgen also wäre es so weit. Fast zwei Jahre hatte ich auf diesen
Augenblick gewartet. Ich musste ihn irgendwie so zu fassen kriegen, dass er
reden würde. Und wenn es mit dem Messer an der Kehle wäre. Himmel, hatte ich
Durst. Ich bestellte noch ein Bier. Wieso war er in Berlin, was machte er in Lichtenrade?
Nicht im Traum hätte ich geahnt, meinen verschollenen Ehemann hier, sozusagen
zu Hause, zu finden. Offensichtlich wohnte er hier nicht, sondern war nur zu
Besuch hier. Er war auf dem Gemeindeamt. Wieso?
Mein Herz war schwer und der
Ratsherrentopf ungenießbar. Die vergilbte Tapete zeugte davon, dass hier früher
viel geraucht worden war. Es waren nur wenige Gäste in der Stube, die mich
verstohlen musterten. Mir war fast schlecht vor Hunger, aber diese
Fleischstücke waren steinhart. Ich versuchte ein paar von den Erbsen und
Möhren, ein Häppchen Kartoffeln, scheußlich. Also bestellte ich noch ein Bier
und einen Schnaps. Es schien Stunden zu dauern. Das Bier wurde schon auf dem
Tresen, wo es herrenlos stand, schal. Mein Gott, nicht nur das Essen, sondern
auch der Service hier waren eine Katastrophe. „Herr Ober, bitte bringen Sie mir
doch mein Bier.“
„Sofort, Gnädige Frau“, sagte
der und entschwand. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte es mir selbst
geholt. Als er endlich so gnädig war, es zu bringen, habe ich gleich noch mal
ein Gedeck bestellt, ich hatte ja gesehen, wie lange es dauerte. Und ich wollte
gut schlafen. „Tue nichts in der Euphorie und nichts aus Verzweiflung“, hatte
Michael einmal zu mir gesagt. Nein, mein lieber Michael, die Verzweiflung ist
in mir zu Stein geworden und über die Euphorie, dass ich dich gefunden habe,
werde ich erst mal schlafen, sagte ich mir. Dann ging ich ins Bett.
Cosmos Ausgabe 6/2010
Sybille Thalheim - Meine Geschichte-
5. Teil: Wie sie mich gefunden haben
Himmel, hatte ich einen
Brummschädel. Mühsam versuchte ich, meine Augen zu öffnen. Sie waren völlig
verklebt. Wo war ich? Ich starrte an die Decke und sah nikotinvergilbte
Kunststofffliesen. Iiihhh! Ich hatte einen Geschmack wie rostiges Eisen im
Mund. Langsam fiel es mir wieder ein: Mahlow. Ich lag in einem billigen
Hotelbett in Mahlow. Die Spur meines seit zwei Jahren verschollenen Ehemannes
Michael hatte mich hierhergeführt. Er lag in einem anderen Hotel in einem
anderen Bett in Berlin-Lichtenrade, keine fünfhundert Meter von mir entfernt
und ahnte nicht, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
Wieso hatte ich eigentlich
solche Kopfschmerzen? Ich erinnerte mich: Gestern hatte ich zwar kaum etwas
gegessen, aber so viel getrunken hatte ich nun auch wieder nicht. Vier Bier und
zwei Schnäpse. Bei meinem derzeitigen Quantum lächerlich. Ich versuchte den
Kopf zu heben, aber es hämmerte wie wild darin. Erschöpft sank ich in das
Nylonkissen zurück. Ich bewegte meinen Arm Richtung Nachttisch, um den dort aufgestellten
Wecker zu besichtigen. Ich griff in etwas Feuchtes. Als ich auf meine Hand
schaute, war sie blutrot. Ich setzte mich mit einem Ruck auf, wobei ich mich
fast übergeben hätte. Und dann sah ich es: das blutige Küchenmesser. Ich nahm
es in die Hand und starrte verwundert darauf. Mein Küchenmesser, kein Zweifel.
Verdammt, hatte ich jetzt einen Blackout? Ich legte das Messer sorgfältig
zurück auf den Nachttisch und versuchte aufzustehen. Mir wurde schlecht. Ich
stürzte auf die Toilette und übergab mich.
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