Der 7. Tag (German Edition)
Es ist schon
erstaunlich, was Menschen sich so für böse Geschichten zusammenreimen. Du bist,
was du denkst, hat meine Mutti mal gesagt. Das stimmt wohl.
Wirklich spannend war der
Psychiatrische Gutachter. Er bescheinigte mir, dass ich die Rachegedanken zum
Überleben gebraucht hätte. Er erklärte mich für schuldunfähig. Tötung im
Affekt. Danach sah es ganz gut aus für mich.
Am siebenten Prozesstag hielt
Ulli sein Plädoyer. Ulli war grandios. Wie er mich als leidende Madonna
dargestellt hat, das war wirklich filmreif. Er hat alle Register seines Könnens
gezogen.
„Und diese Frau, der alles
genommen wurde, hörte plötzlich, dass der Mensch, der ihr das angetan hatte, in
einer Eisdiele in Mahlow gesehen wurde.“
Cosmos – Ausgabe 8/2010
Sybille Thalheim – Meine Geschichte,
7. Teil: Das Geständnis
Der siebente Prozesstag: Der
Tag, an dem mein Verteidiger Ulli Henke ein glänzendes Plädoyer gehalten hat.
„Sybille Thalheim ist
verzweifelt. Sie sitzt in der Gaststube dieses Hotels in Mahlow. Sie kann
nichts essen, stattdessen trinkt sie auf nüchternen Magen zu viel Bier und zu
viele Schnäpse. Ihr wird schwindelig, sie geht durch den Hintereingang nach
draußen, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Die frische Luft bekommt
ihr nicht, ihr wird noch trieseliger.“
Ja, genau so hatte es sich
abgespielt.
„Sie geht in ihr Hotelzimmer
und kleidet sich aus. Sie holt das mitgebrachte Küchenmesser aus ihrer Tasche,
legt es auf den Tisch. Danach kann sie sich an nichts mehr erinnern.“
Ja, genauso hatte es sich
zugetragen. Danach konnte ich mich an nichts mehr erinnern.
Ich merkte, dass sich der
Gerichtssaal um mich drehte. Meine Gedanken überschlugen sich. Wie bei einem
Gewitter leuchteten Szenen aus meinem Leben plötzlich im hellen Blitzlicht auf
und verschwanden, bevor ich sie greifen konnte. Ich brauchte Zeit. Zeit um
nachzudenken, alles noch mal zu überdenken. Ich war in Panik. Das Blut rauschte
in meinen Ohren, der Saal drehte sich um mich. Konnte es sein, dass ich die
ganze Zeit einfach blind gewesen bin? Und genau da fragte mich die Vorsitzende
Richterin, ob ich noch etwas sagen wolle. Was sollte ich sagen?
„Ich bekenne mich schuldig,
den gewaltsamen Tod meines Ehemanns Michael Thalheim geplant und herbeigeführt
zu haben.“
Und das stimmt, buchstäblich,
so wie ich es vor Gericht gesagt und jetzt geschrieben habe.
Nur hat sich alles ganz
anders abgespielt. Und hier ist die wirkliche Geschichte. Meine Geschichte, die
ich erst erfahren habe, als ich bereits verurteilt worden war. Hier im
Gefängnis in Berlin-Lichtenberg, in dem ich seitdem einsitze, habe ich sie
recherchiert. Dabei kam mir ein Angebot zu Hilfe, das ich nicht ausschlagen
konnte.
Kurz nach meiner Verurteilung
bekam ich Besuch. Nicht von Gabi oder Ulli, sondern von einem korpulenten
jungen Mann namens Peter Schulz-Pfister. Welch ein Name. Ich dürfe ihn Peter
nennen, sagte er. Er käme vom Cosmos und habe mir ein Angebot zu machen. Die
lieben Kollegen. Sie wollten die Exklusiv-Rechte an meiner Geschichte. Dafür
sollte ich eine erhebliche Summe erhalten. Ich habe mir Bedenkzeit ausgebeten.
Eine Woche später war Peter
mit dem unaussprechlichen Nachnamen wieder da.
„Ich habe Bedingungen“, habe
ich gesagt.
„Ich höre.“
„Gut, ich werde meine
Geschichte schreiben. Aber es ist meine Geschichte. Ich will nicht, dass Ihr
darin rumredigiert. Ich will, dass sie genauso abgedruckt wird, wie ich sie
schreibe.“
„Kein Problem“, sagte Peter,
„wenn das alles ist.“
„Nein“, das ist nicht alles.
„Ich brauche die volle Unterstützung der Redaktion, eure besten Leute zur
Recherche.
„Was sollen wir
recherchieren?“ fragte Peter.
„Das, was ich euch sage. Die
Story muss in mehreren Teilen erscheinen. Sie müssen die geschriebenen Seiten
abholen. Und dann sage ich Ihnen, was Sie recherchieren sollen. Und wenn Sie
wiederkommen, will ich über die Ergebnisse informiert werden.“
„Das muss ich mit der
Chefredaktion und der Rechtsabteilung absprechen“, sagte Peter. Drei Tage
später war er wieder da.
„Das geht in Ordnung“,
meldete er.
Der Cosmos hat Wort gehalten.
Sie haben ihre besten Journalisten auf meine Story angesetzt. Was die Polizei
in zwei Jahren nicht herausgefunden hat, hat Cosmos in zehn Wochen geschafft.
Cosmos – Ausgabe 9/2010
Sybille Thalheim – Meine Geschichte:
8. Teil: Die wahre Geschichte
Februar 2008: Es begann mit
Tante Trude. Die wurde
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