Der 7. Tag (German Edition)
Im Spiegel schaute mich ein
totenbleiches Gesicht an. Abgesehen von dem Blut, das ich mir offensichtlich
beim Kotzen in die Haare geschmiert hatte. Mein Magen drehte sich noch mal um.
Es hämmerte wie wild in meinem Kopf. Nein, das war nicht mein Kopf, es hämmerte
an die Tür.
„Ich schlafe noch“, schrie
ich Richtung Tür.
„Aufmachen, Polizei“.
Es drehte sich alles, ich
fiel einfach in Ohnmacht.
Als ich wieder zu mir kam,
lag ich auf dem Bett. Um mich herum standen mehrere Menschen.
„Wer sind Sie“, fragte ich
verwirrt.
„Polizei. Sind Sie Sybille
Thalheim?“
„Ja, wieso?“
„Frau Thalheim, ziehen Sie
sich bitte an, Sie sind verhaftet.“
„Wieso?“
„Sie werden beschuldigt,
ihren Ehemann Michael Thalheim erstochen zu haben.“
„Wieso?“ Etwas Blöderes fiel
mir nicht ein. Mir fiel überhaupt nichts dazu ein. Ich versuchte wieder, mich
zu erinnern. Ich hatte vier Bier und zwei Schnäpse getrunken und bin schlafen
gegangen. Aber wie kam dann mein Küchenmesser, blutbeschmiert, auf meinen
Nachttisch?
„Welchen Tag haben wir heute“,
fragte ich die Polizisten.
„Den 2. Februar.“
Aha. Ich war am 1. Februar
angekommen, also konnte ich Michael nicht erstochen haben. Denn ich hatte
geplant, ihn erst heute in seinem Hotelzimmer zu stellen.
„Wie spät ist es“, fragte ich
verwirrt?
„14.37 Uhr“, sagte der
Polizist.
Mein Gott, so lange konnte
ich unmöglich geschlafen haben, schoss es mir durch den Kopf.
Die Polizisten hatten sich
über den wackligen Stuhl gebeugt, der vor dem Fenster an einem Tisch stand.
Dort lagen meine Klamotten. Einer zog den Pullover hoch und zeigte ihn seinem
Kollegen. Blutverschmiert, sagte der Kollege.
„Wieso, was ist passiert?“
schrie ich.
Komisch, ich hatte mir bis zu
diesem Zeitpunkt keine Gedanken darüber gemacht, wie mein Leben weitergehen
sollte. Ich hatte auf den Tag hin gelebt, an dem ich Michael finden würde. Auf
den Tag hin vegetiert, an dem ich den Schwur, den ich am Grab meiner Mutter
geleistet hatte, einlösen und ihn umbringen würde. Was danach mit mir geschehen
würde, war mir gleichgültig. Ich konnte mich zwar erinnern, Michael gefunden zu
haben, aber nicht, ihn getötet zu haben. Wahrscheinlich hätte ich dann selbst
die Polizei angerufen, sozusagen nach getaner Arbeit. Wieso konnte ich mich
nicht erinnern?
Vor allem wusste ich immer
noch nicht, wieso Michael mich verlassen hatte, wieso er seine Familie im Stich
gelassen und unser aller Leben damit vernichtet hatte.
„Ziehen Sie sich bitte an“,
sagte einer der Polizisten. Im Kleiderschrank hatten sie Sachen gefunden, die
offensichtlich nicht blutverkrustet waren. Sie haben mich damit ins Badezimmer
geschickt, eine Polizistin ist mit hineingekommen, damit ich nicht aus dem
nicht vorhandenen Fenster springe oder mir mit den nicht vorhandenen
Rasierklingen die Pulsadern aufschneide. Deine Würde ist das erste, was auf der
Strecke bleibt, wenn man dich des Mordes bezichtigt.
Sie brachten mich auf ein
Revier, wo ich zunächst in eine Zelle gesteckt wurde. Sie roch nach Schweiß,
nach Erbrochenem, nach Alkohol, nach Angst und Desinfektionsmittel. Oder war
ich es, die so roch? Nein, ich hatte keine Angst. Ich hatte Fragen.
Zunächst haben sie mich
„erkennungsdienstlich behandelt“. Das heißt, sie haben „Starportraits“ von mir
gemacht und meine Fingerabdrücke genommen. Und eine Blutprobe aus meinen
Haaren. Ich hoffte, dass sie diese Fotos nie an die Zeitungen geben würden,
denn wie ich nach diesem Morgen aussah, kann man sich wohl vorstellen. Dann
brachten sie mich in ein kleines Zimmer. Zwei Männer und eine Frau waren
anwesend. Sie würden alles aufnehmen und mitprotokollieren. Bitte, macht doch
was ihr wollt. Ich hätte das Recht auf einen Anwalt. Ob ich jemanden anrufen
wolle. Ich überlegte. Ulli. Ich rief also Ulli an, unseren alten Freund Ulli
Henke, hauptberuflich Strafverteidiger, der beste, den es gibt, hatte jedenfalls
mein Mann Michael gesagt.
„Ich habe Hunger“, sagte ich.
Ich bekam etwas zu essen. Es
schmeckte köstlich.
„Haben Sie eine Zigarette?“
Sie hatten nicht. Ich wurde in die Zelle mit den üblen Ausdünstungen
zurückgebracht. Ulli würde kommen und mich hier rausholen.
Drei Stunden später kam Ulli.
„Bille, was machst du für
Sachen“. Wir umarmten uns.
„Ich habe nichts getan, woran
ich mich entsinne, Ulli. „
„Dann beantworte keine
Fragen, mach‘ auf keinen Fall ein Geständnis.“
„Wozu brauchen die ein
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